Digitalisierung im öffentlichen Sektor: Blockchain als Lösung digitaler Kooperation?

Digitalisierung im öffentlichen Sektor: Blockchain als Lösung digitaler Kooperation?

12. Juni 2020

Förderalismus als idealer Anwendungsfall für Blockchain

Mit der Veröffentlichung ihrer Blockchain-Strategie hat die deutsche Bundesregierung im September 2019 einen bemerkenswerten Schritt gemacht. Insbesondere im Hinblick auf dezentralisierte Finanzprodukte (wie zum Beispiel Krypto-Assets, Wertpapiere oder Währungen auf Blockchain-Basis) war dieser Schritt richtungsweisend. Der Privatsektor kann damit hoffen, dass die Technologie auf eine solide Rechtsgrundlage gestellt wird und die Entwicklung von Blockchain-Anwendungen in Deutschland weiter an Dynamik gewinnt.

Was bisher allerdings noch wenig Beachtung gefunden hat: Die Blockchain-Technologie bietet insbesondere dem deutschen Staat enorme Potenziale. Denn durch seinen föderalen Aufbau weist Deutschland die idealen Voraussetzungen auf, um von Blockchain-Anwendungen zu profitieren.

"Pilotprojekte sind wichtig, um Erfahrung mit der Technologie zu sammeln. Um einen wirklichen Mehrwert für die Bürger zu erreichen, bedarf es allerdings eines holistischen Ansatzes."
Portrait of Ina Wietheger
Senior Partner
Frankfurt Office, Zentraleuropa

Wieso ist der Einsatz von Blockchain-Technologie in föderalen Strukturen besonders sinnvoll?

Im November 2019 wurde bekannt, dass in einem hessischen Krankenhaus eine Anästhesistin für mehrere Todesfälle verantwortlich war. Das Tragische daran: der Vorfall hätte verhindert werden können, denn die vermeintliche Ärztin war im Besitz einer gefälschten Approbationsurkunde. Das führt zu der Frage, weshalb es heutzutage noch immer vorkommen kann, dass Krankenhäuer vermeintliche Ärzte ohne medizinische Ausbildung einstellen. Ein Grund ist, dass die Ausstellung von Approbationsurkunden den zuständigen Behörden im jeweiligen Bundesland obliegt. Es gibt daher viele verschiedene ausstellende Behörden und Approbationsurkunden haben kein einheitliches Format. Das erschwert es Krankenhäusern, Fälschungen zu identifizieren. Nach Bekanntwerden des Skandals wurde der Ruf nach einem bundesweiten Zentralregister für Approbationsurkunden laut. Die Landesärztekammer Hessen lehnte dies jedoch unter Verweis auf das föderale System ab.

Ein anderes Beispiel: Durch Umsatzsteuerbetrug entsteht dem deutschen Fiskus ein jährlicher Schaden von geschätzt 14 Milliarden Euro – in der Europäischen Union beläuft sich der Wert sogar auf über 50 Milliarden Euro. Im Rahmen des europäischen Mehrwertsteuersystems haben Importeure von EU-Waren die Möglichkeit, sich die Umsatzsteuer vom Finanzamt erstatten zu lassen. Die organisierte Kriminalität nutzt das mit sogenannten Karussellgeschäften aus, indem sie Scheinfirmen gründen, die sich die Umsatzsteuer auszahlen lassen. Das Problem ist bereits seit dem Jahr 2009 bekannt und durch eine enge Zusammenarbeit zwischen den Steuerbehörden der Nationalstaaten könnte der Umsatzsteuerbetrug unmöglich gemacht werden. Die Mitgliedsstaaten der EU konnten sich bisher jedoch auf vorliegende Lösungsvorschläge nicht verständigen. Denn dazu müssten die Nationalstaaten ihre Steuerhoheit zu einem gewissen Grad aufgeben.

Die beiden Sachverhalte wirken auf den ersten Blick sehr unterschiedlich, sind aber auf dieselbe Ursache zurückzuführen: nämlich einem zu geringen Kooperationsgrad zwischen dezentral agierenden Akteuren. Die Grundstruktur des Föderalismus sieht dezentrale Zuständigkeiten vor, wodurch lokale Aufgaben zwar effizienter angegangen werden können, jedoch die Zusammenarbeit über die Zuständigkeitsbereiche hinweg erschwert wird. Blockchain kann genau an dieser Stelle ansetzen und zu einer effektiven Zusammenarbeit innerhalb föderaler Strukturen beitragen.

Warum gibt es in Deutschland viele Möglichkeiten zum sinnvollen Einsatz der Blockchain-Technologie?

Blockchain wurde in der Vergangenheit häufig als digitales Allheilmittel für vielfältigste Anwendungsfälle dargestellt. Doch der Einsatz der Technologie ist nur dann sinnvoll, wenn folgende Grundproblematik gegeben ist: Verschiedene Entitäten müssen sich auf einen Zustand einigen, eine zentrale Instanz kann oder soll jedoch nicht etabliert werden.

Auf dieser Basis lassen sich Anwendungsfälle identifizieren. Im bekanntesten Blockchain-Anwendungsfall, der digitalen Währung Bitcoin, müssen sich Entitäten (in diesem Fall Netzwerkteilnehmer) darauf einigen, dass ein digitaler Wert transferiert wurde, ohne dabei auf eine zentrale Datenbank zurückzugreifen (die zum Beispiel durch eine Bank als zentrale Instanz verwaltet wird). Mittels Blockchain kann Konsens über die Validität von Transaktionen zwischen Netzwerkteilnehmern hergestellt und die Historie durchgeführter Transaktionen in einem dezentralen Register festgehalten werden. Im Endergebnis können sich die Netzwerkteilnehmer eigenständig darauf einigen, dass eine bestimmte Anzahl an Bitcoins von Person A an Person B transferiert wurde.

Eine ähnliche Grundproblematik weist auch das föderale Verwaltungssystem Deutschlands auf. Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip verwaltet jede Behörde ihr IT-System selbstständig. Die Datenhoheit verbleibt damit bei der zuständigen Stelle. Dennoch müssen sich die verschiedenen Behörden ständig untereinander abstimmen. Aktuell erfolgt dieser Informationsaustausch allerdings nicht immer fehlerfrei – und oftmals auch noch in analoger Form. Die Folge ist, dass Daten-Duplikate vorliegen, zuständige Stellen von Prozess-Updates nicht in Kenntnis gesetzt werden oder Verwaltungsakte fehlerhaft zugeordnet werden. Die Konsequenzen reichen vom Komfortverlust in der Verwaltungsinteraktion bis hin zur Gefährdung der Lebensgrundlage (beispielsweise durch vollzogene Abschiebungen aufgrund einer fehlerhaften Datengrundlage). Eine Lösung wäre, vorhandene Systeme in Kommunen und Bundesländern aufzulösen und eine einzige, zentrale Datenbank aufzubauen, die alle relevanten Informationen enthält. Doch eine solche Lösung würde einen enormen Aufwand bedeuten und widerspräche auch dem Subsidiaritätsprinzip.

Ein anderer Lösungsansatz ist, die bestehenden Strukturen beizubehalten und um eine integrierende Blockchain-Ebene zu ergänzen, die einen sicheren Informationsaustausch ermöglicht und Datenintegrität gewährleistet. Blockchain stellt in diesem Lösungsansatz die informationstechnische Klammer dar, die interagierende Behörden vernetzt, ohne dass diese ihre Datensouveränität aufgeben müssen. Genau zu diesem Zweck testet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Technologie in einem Pilotprojekt für den Einsatz im Asylverfahren. Die ersten Ergebnisse des Pilotprojekts bescheinigen, dass Blockchain die behördenübergreifende Zusammenarbeit verbessert und insbesondere in föderalen Strukturen zur Prozessoptimierung beitragen kann.

Gerade Deutschland mit seinem starken föderalen Aufbau bietet daher besonders viele Möglichkeiten, die Blockchain-Technologie zur effektiven Vernetzung der verschiedenen Behördenebenen, von Kommunen über Länder und Bund bis hin zur EU, einzusetzen.

Welche konkreten Maßnahmen sollte die Bundesregierung angehen, um von Blockchain zu profitieren?

Pilotprojekte sind wichtig, um Erfahrung mit der Technologie zu sammeln und Knowhow im Umgang mit Blockchain aufzubauen. Um einen wirklichen Mehrwert für die Bürger zu erreichen, bedarf es allerdings eines holistischen Ansatzes. Daher sollte die Bundesregierung:

  1. Die Behördenlandschaft systematisch nach Potenzialen durchleuchten.
    Wie das Beispiel im BAMF verdeutlicht, können Blockchain-Lösungen dort ansetzen, wo eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen Behörden benötigt, aber aus Gründen der Souveränitätshoheit behindert wird. Die Bundesregierung sollte die informationstechnische Zusammenarbeit der Bundesministerien in der Horizontalen untersuchen und systematisch ermitteln, wo Verbesserungsmöglichkeiten vorhanden sind. Es sollte zudem – in Kooperation mit Kommunen, Ländern und der EU – ein Prozess zur Identifikation von Verbesserungspotenzialen in der Vertikalen angestoßen werden. Zugleich sollte dabei insbesondere die Behörden-Bürger-Interaktion auf allen Ebenen analysiert werden. Internationale Praxisbeispiele können als Blaupause dienen, wo Potenziale im e-Government Bereich durch Blockchain zu finden sind. Estland hat beispielsweise eine eigene Blockchain-Lösung entwickelt, die die Integritätsverifikation von Regierungsdaten sicherstellt. Dadurch konnten neben dem interbehördlichen Datenaustausch auch Bereiche, die sensible Bürgerdaten umfassen, wie zum Beispiel der Gesundheitssektor oder das Gerichtswesen, weiter digitalisiert werden.
  2. Strategische Projekte mit größtmöglicher Breitenwirkung definieren.
    In ihrer Blockchain-Strategie definiert die Bundesregierung zwar konkrete Maßnahmen, allerdings fehlen übergreifende und strategische Projekte, die heute die Grundlage für eine digitale Gesellschaft von morgen legen. Ein Bereich, der eine besonders große Breitenwirkung für die Gesellschaft entfalten würde, ist der Aufbau einer "selbstsouveränen Identität", mit der sich alle Bürger ausweisen können. Mit Blockchain lassen sich Systeme entwickeln, die dem Bürger die volle Kontrolle über seine persönlichen Daten geben. Da die Daten nicht an einem zentralen Ort gespeichert werden, sondern beim Bürger selbst, schützen selbstsouveräne Identitäten auch vor Identitätsdiebstahl. Die Blockchain-Lösung hätte die gleichen Eigenschaften wie ein physischer Personalausweis – nur digital und sicherer. Langfristig könnten selbstsouveräne Identitäten die Basis für eine hochgradig digitalisierte Gesellschaft sein. Die Bundesdruckerei macht aktuell den ersten Schritt hin zu einer solchen Vision und arbeitet mit einem Blockchain-Startup an einer Machbarkeitsstudie für einen solchen digitalen Ausweis.
  3. Handlungsfähigkeit sicherstellen und Umsetzungsexpertise aufbauen.
    Es reicht nicht aus, strategische Projekte zu definieren. Es braucht auch die Fähigkeit, diese umzusetzen. Dazu sollte die Bundesregierung das vorhandene Knowhow in öffentlichen Organisationen nutzen und bündeln. Beispielsweise haben Anfang des Jahres zehn öffentliche IT-Dienstleister die Blockchain-Genossenschaft „Govdigital“ gegründet, die das Ziel hat, Blockchain-Lösungen für die öffentliche Hand zu entwickeln. Gründungsmitglieder der Genossenschaft sind unter anderem der kommunale IT-Dienstleister Dataport, die Bundesdruckerei und die Stadt Köln. Solche Netzwerke sollten systematisch gefördert und ausgebaut werden, damit die Bundesregierung im Bedarfsfall auf wertvolle Umsetzungsexpertise aufbauen kann. Um am Puls der Zeit zu bleiben, sollte die Bundesregierung außerdem noch stärker die Nähe zu jungen Unternehmen und Gründern suchen. Deutsche Startups bieten bereits erste marktreife Blockchain-Produkte an, die zur digitalen Handlungsfähigkeit des deutschen Staates beitragen können.

Ob fälschungssichere Approbationsurkunden, die Kooperation von europäischen Steuerbehörden oder selbstsouveräne Identität: Blockchain kann zum effizienten Funktionieren des (föderalen) Staates beitragen. Auf dem Weg dorthin kann die Blockchain-Strategie nur der erste Schritt gewesen sein. Die Bundesregierung sollte jetzt anfangen, Potenziale in der Verwaltung erkennen, strategische Projekt definieren und seine Umsetzungsexpertise ausbauen, damit Deutschland im Bereich der Blockchain-Technologie international zum Vorreiter wird.

Wir danken Herrn Prof. Dr. Philipp Sanders, Leiter des Frankfurt School Blockhain Center der Frankfurt School of Finance & Management, für seine Beteiligung an diesem Artikel.

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