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Die Globalisierung wandelt sich

Die Globalisierung wandelt sich

23. Dezember 2021

... aber von einem "Ende der Globalisierung" kann keine Rede sein

Bedeutet Corona das Ende der Globalisierung? In der Öffentlichkeit entsteht angesichts von Lieferengpässen – von der Automobilindustrie bis zur Halbleiterbranche – immer wieder der Eindruck, die Globalisierung im Sinne einer internationalen Verflechtung der Produktion durch globale Wertschöpfungsketten sei an ein Ende gekommen.

Die Vorteile globaler Arbeitsteilung sowohl in den Industrieländern als auch in vielen Schwellenländern liegen nach wie vor auf der Hand.
Die Vorteile globaler Arbeitsteilung sowohl in den Industrieländern als auch in vielen Schwellenländern liegen nach wie vor auf der Hand.
"Die Globalisierung und die mit ihr einhergehende Suche nach optimalen Produktionsbedingungen müssen zukünftig um den Gesichtspunkt der Resilienz der Lieferketten ergänzt werden."
Portrait of David Born
Senior Manager
Frankfurt Office, Zentraleuropa

Natürlich hat sich die Corona-Krise nachteilig auf globale Wertschöpfungsketten ausgewirkt und so auch die Krisenanfälligkeit und die Schwächen international eng vernetzter Lieferketten und darauf beruhender Volkswirtschaften schmerzhaft verdeutlicht. Doch mitnichten lässt sich daraus auf ein "Ende der Globalisierung" schließen. Dies verdeutlicht ein Blick auf aktuelle Zahlen der TiVA-Datenbank der OECD.

Die “backward participation” als Indikator für die Integration in globale Wertschöpfungsketten

Die TiVA-Datenbank der OECD ist die verlässlichste Quelle für fundierte Aussagen über die Veränderung globaler Wirtschaftsketten. Sie erlaubt unter anderem die Analyse der so genannten "backward participation" einzelner Länder und Regionen und ermöglicht dadurch Aussagen über den Anteil der ausländischen Wertschöpfung (Foreign Value Added) an den Exporten des jeweiligen Landes oder der jeweiligen Region.

Ein Blick auf die am 17.11.2021 veröffentlichten Zahlen der TiVA-Datenbank zeigt, dass sich die globalen Wertschöpfungsketten – und das gilt ganz unabhängig von Corona – seit Jahrzehnten in einem permanenten Auf und Ab befinden. Die Globalisierung ist keine Einbahnstraße, die nur eine Richtung kennt, und kein Naturereignis, das gemäß einer physikalischen Gesetzmäßigkeit abläuft. Globalisierung war immer schon, ist heute und wird auch in Zukunft von vielfältigen ökonomischen, sozialen und (geo-)politischen Rahmenbedingungen abhängig sein.

Die folgende Abbildung stellt die Entwicklung der "backward participation" für Deutschland, Frankreich, EU27, China und USA im Zeitraum 1995-2018 dar. Dabei zeigen sich eine Reihe von Phänomenen und Tendenzen, die sowohl die Rede von einem "Ende der Globalisierung" als auch die Annahme von einer unwiderruflichen und kontinuierlichen Zunahme der Globalisierung als Mythos entlarven.

Höhen und Tiefen der Globalisierung – Die Integration in globale Wertschöpfungsketten im Zeitraum 1995-2018
"Natürlich hat sich die Corona-Krise nachteilig auf globale Wertschöpfungsketten ausgewirkt. Doch mitnichten lässt sich daraus auf ein 'Ende der Globalisierung' schließen."
Portrait of Christian Krys
Senior Expert
Düsseldorf Office, Zentraleuropa

Vier bemerkenswerte Phänomene

Erstens fällt die unterschiedlich intensive Vernetzung der abgebildeten Wirtschaftsräume in internationale Wertschöpfungsketten auf. Globale Wertschöpfungsketten sind also kein Merkmal, dass in der Ära der Globalisierung alle entwickelten Volkswirtschaften in genau derselben Weise prägt und betrifft. Die deutsche und die französische Volkswirtschaft etwa sind besonders stark in globalen Wertschöpfungsketten vernetzt. Berücksichtigt man neben der intensiven "backward participation" auch noch die hohe Exportquote (Verhältnis der Exporte zum BIP) der deutschen Volkswirtschaft, so ist klar dass die Fragen der Vulnerabilität und der Resilienz von Lieferketten für die deutsche Volkswirtschaft besonders dringlich sind.

Die USA hingegen, die eine deutlich niedrigere Exportquote als Deutschland oder Frankreich haben und deren Importe zu einem großen Anteil in den inländischen Konsum fließen, weisen eine deutlich niedrigere Integration in globale Wertschöpfungsketten als Deutschland oder Frankreich auf.

Zweitens fällt auf, dass, blickt man allein auf China, die USA und Deutschland, die jeweiligen Hoch- und Tiefpunkte der Integration in globale Wirtschaftsketten im Zeitraum 1995 bis 2018 auf unterschiedliche Zeitpunkte fallen. In China wurde der höchste Wert der "backward participation" 2004, in den USA 2008 und in Deutschland 2011 erreicht – eine Bestätigung dafür, dass die Globalisierung ein vielfältiges und wandelbares Phänomen ist, welches nicht für alle Wirtschaftsräume automatisch nach dem gleichen Muster verläuft.

Dass die Integration in globale Wertschöpfungsketten in den drei genannten Wirtschaftsräumen in den letzten drei Jahrzehnten unterschiedlich verlaufen ist, liegt an den jeweiligen Ausgangsbedingungen dieser Volkswirtschaften. So spiegeln die Zahlen für China den strukturellen Wandel der chinesischen Volkswirtschaft seit den 1990er-Jahren wider: Chinas wirtschaftlicher Aufstieg begann seinerzeit damit, dass sich die chinesische Volkswirtschaft auf die finale Montage von importierten Zwischenprodukten spezialisierte und diese auf den Weltmarkt exportierte. Im Laufe der Jahre ersetzte China aber die zuvor importierten Vorleistungen zunehmend durch eigene Produktion und reduzierte somit den Exportanteil ausländischer Wertschöpfung.

Die Abbildung zeigt ferner, das ist ein dritter bemerkenswerter Punkt, dass die "backward participation" der chinesischen Volkswirtschaft 2016 nur geringfügig höher war als 1995 (16,0 % vs. 15,7 %). Für die USA lässt sich für eben diesen Zeitraum tatsächlich ein gleichbleibender Wert der "backward participation" erkennen (8,9 %). Eine andere Entwicklung zeigt sich in Deutschland: Hier liegt der Wert für 2018 um rund ein Drittel höher als 1995 (22,7 % vs. 14 %). Die deutsche Volkswirtschaft mit ihrer starken Orientierung an Exporten u. a. in den Bereichen Automobil und Maschinenbau hat sich in den letzten drei Jahrzehnten immer stärker in globale Wertschöpfungsketten integriert. Das bietet deutschen Unternehmen natürlich viele Chancen, macht sie im Krisenfall aber auch besonders anfällig für Lieferengpässe.

Eine vierte Beobachtung: Seit 2016 steigt die Integration in globale Wertschöpfungsketten in allen abgebildeten Wirtschaftsräumen leicht, aber doch deutlich erkennbar an. Dieses Phänomen verdeutlicht, dass ein Abgesang auf die Globalisierung den ökonomischen Tatsachen nicht entspricht. Fassen wir unsere vier Beobachtungen zusammen, zeigt sich hingegen ein permanenter Wandel der Globalisierung und ein unterschiedlicher Verlauf der Globalisierung in unterschiedlichen Wirtschaftsräumen.

Vorteile globaler Arbeitsteilung bewahren, globale Lieferketten nachhaltiger gestalten

Dabei liegen die Vorteile globaler Arbeitsteilung sowohl in den Industrieländern als auch in vielen Schwellenländern nach wie vor auf der Hand. Die Integration in globale Wertschöpfungsketten sorgt für hohe Effizienz, sichert Wohlstand und schafft Entwicklungsperspektiven für Schwellen- und Entwicklungsländer. Insbesondere das exportstarke Deutschland hätte bei einem Rückgang der Globalisierung oder gar bei sich verstärkenden Handelskonflikten oder Tendenzen zu Protektionismus viel zu verlieren. Alle politischen Anstrengungen sollten hierzulande daher darauf gerichtet sein, die Märkte durchlässig und die Handelsoffenheit der deutschen Wirtschaft hoch zu halten.

Fazit: Auch nach Corona wird die Globalisierung nicht abgewickelt werden. Sie wird aber weiterhin, so wie dies auch vor Corona der Fall war, ihre Form verändern. Dafür wird zukünftig allein schon der gewaltige Anstieg des internationalen Dienstleistungshandels sorgen. Die Globalisierung und die mit ihr einhergehende Suche nach optimalen Produktionsbedingungen müssen zukünftig um den Gesichtspunkt der Resilienz der Lieferketten ergänzt werden. Dies wird nicht zu einem Ende der Globalisierung führen, sondern zu einer nachhaltigeren Form von Globalisierung.

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