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Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine

Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine

13. April 2022

Ein Ende russischer Öl- und Gaslieferungen würde die europäische Wirtschaft hart treffen

Politisch stellt der vom russischen Präsidenten befohlene Überfall auf einen souveränen Staat mitten in Europa eine welthistorische "Zäsur" dar. Der deutsche Bundeskanzler spricht von einer "Zeitenwende". Vor allem handelt es sich um eine humanitäre Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes. Wer hätte gedacht, dass derartige Ereignisse und Bilder eines Tages wieder europäische Realität sind?

Wir beschäftigen uns hier jedoch allein mit einer ökonomischen Frage: Welche wirtschaftlichen Konsequenzen hat der russische Angriffskrieg? Die Beantwortung dieser Frage wird entscheidend von der weiteren Dauer und Intensität des Kriegsgeschehens sowie dem Umfang und der Härte der Sanktionen abhängen.

Dominoeffekte könnten möglicherweise ganze Produktionslinien lahmlegen
Energieintensive Industrien werden besonders stark von den Folgen des Ukraine-Kriegs betroffen sein

Wir unterscheiden drei Szenarien: eine Eindämmung des Konflikts, d. h. die Vereinbarung eines Waffenstillstands im ersten Halbjahr 2022 ohne weitere Verschärfung der beschlossenen Sanktionen; ein Fortdauern des Konflikts, d. h. eine Fortsetzung des Kriegsgeschehens über das erste Halbjahr 2022 hinaus ohne weitere Verschärfung der beschlossenen Sanktionen; ein Fortdauern des Konflikts in Verbund mit dem Ende russischer Gas- und Öllieferungen nach Europa, sei es im Zuge eines von der EU beschlossenen Embargos, sei es im Zuge eines russischen Lieferstopps.

Die ökonomischen Konsequenzen dieser drei Szenarien sind für die drei von uns untersuchten Wirtschaftsräume USA, China und EU höchst unterschiedlich:

Da in den USA und China keine Abhängigkeit von russischen Gas- und Ölimporten besteht , wirken sich Art und Dauer des Konflikts nur wenig auf das wirtschaftliche Wachstum dieser beiden größten Volkswirtschaften der Welt aus. Im Gegenteil: Im Fall eines Öl- und Gasembargos könnten diese Länder zumindest mittelfristig sogar profitieren: Die USA als Exporteur von Öl und Gas und China als alternativer Absatzmarkt für russische Rohstoffe.

Ganz anders stellt sich dies für die EU dar: Bereits das "mittlere" Szenario eines fortdauernden Konflikts ohne das Ende russischer Gas- und Öllieferungen würde dazu führen, dass das BIP der Europäischen Union bis 2023 um insgesamt 2,3 Prozent geringer ausfällt als in dem von uns angenommen Basisszenario.

Dramatisch wären für die europäische Wirtschaft aber vor allem die Folgen eines anhaltenden militärischen Konflikts im Verbund mit einem Ende russischer Gas- und Öllieferungen. Das Wachstum in der Europäischen Union würde in diesem Szenario in den nächsten zwei Jahren um 8,2 Prozent geringer als in einem "no war-scenario" ausfallen.

Zwar ist denkbar, dass bereits 2023 Alternativen zu russischem Erdöl und Erdgas – etwa Einkauf von Erdöl und Erdgas aus anderen Ländern, Umstellung auf Flüssiggas und Aufbau entsprechender LNG-Terminals in Deutschland oder Abkehr von fossilen Energieträgern durch massiven Ausbau erneuerbarer Energien – diesen Einbruch abfedern. Aber für 2022 würde dies nichts helfen. In dem "Worst Case"-Szenario eines anhaltenden Konflikts und des Stopps russischer Öl- und Gaslieferungen käme es 2022 nach unseren Schätzungen zu einem Rückgang des BIP in der EU um 3 Prozent.

Dabei trifft die weitere Dauer und Intensität des Kriegs nicht alle europäischen Industrien gleichermaßen hart: Bereits jetzt wird deutlich, dass vor allem energieintensive Industrien, wie die metallverarbeitende Industrie, die chemische Industrie oder die Transport- und Logistikindustrie besonders stark vom Krieg betroffen sind. Diese Sektoren leiden nicht nur unter den bereits jetzt stark gestiegenen Rohstoff- und Energiepreisen, sondern beziehen zum Teil kritische Vorleistungsgüter aus Russland oder der Ukraine. Fallen einige für die Weiterverarbeitung notwendige Vorprodukte aus, kann dies zu einem Dominoeffekt führen, der teils gesamte Produktionen lahm legt und dann in "second order"-Effekten sich auch auf andere Industrien auswirken kann.

Der russische Angriff auf die Ukraine ist nicht nur eine humanitäre Katastrophe und ein politischer Bruch mit der etablierten europäischen Sicherheitsarchitektur. Er wird auch in ökonomischer Hinsicht massive Auswirkungen auf Europa haben. Je nach Dauer und weiterem Verlauf werden sich die Konsequenzen für das Wirtschaftswachstum zwar deutlich unterscheiden. Ökonomisch spürbar, im Sinne eines Rückgangs des BIP-Wachstums gegenüber der unterstellten Ausgangsprognose, wird der Krieg aber in jedem der drei skizzierten Szenarien sein. Er muss aus humanitären, politischen und ökonomischen Gründen so schnell wie möglich beendet werden.

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