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Durchstarten für den Post-Covid-Erfolg

Durchstarten für den Post-Covid-Erfolg

30. April 2021

Warum die Digitalisierung der Luftfahrtbranche Aufwind verleihen kann

Co-autor

Torsten Welte
Global Head Industry Business Unit Aerospace & Defense, SAP

Luftfahrtunternehmen hatten es schwer im vergangenen Jahr, und auch die nahe Zukunft birgt zahlreiche Ungewissheiten. Wenn sie jedoch ihre Geschäftsmodelle überdenken und digitale Lösungen einführen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit und operative Exzellenz zu steigern, könnten sie gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Aircraft production hit by Covid-19.
Auf dem Abstellgleis: Flugzeughersteller mussten ihr Produktionsniveau aufgrund der Covid-19-Pandemie drastisch reduzieren.

Die vergangenen zwölf Monate waren für die Luftfahrtbranche zweifellos die schwierigste und auch die anstrengendste Zeit seit vielen Jahrzehnten. Die Covid-19-Pandemie zwang die Unternehmen dazu, an vielen Fronten gleichzeitig zu kämpfen. Ob Sicherheit, Liquidität, Lieferketten oder Kostenreduktion – es brannte an allen Ecken und Enden. Hinzu kam, dass die Akteure aufgrund der vorangegangenen langen Prosperitätsphase ihre Fähigkeit zur Krisenbewältigung eingebüßt und keine Blaupause für eine solche Notlage in der Schublade hatten.

Angesichts der abrupten Ausbremsung des Luftverkehrs und der Fluggesellschaften durch das Virus gelang es der Branche erstaunlich gut, ihre Produktion geordnet herunterzufahren und die Lieferketten intakt zu halten. Allerdings zielte ein Großteil der Maßnahmen darauf ab, die Unternehmen in eine Art Winterschlaf zu versetzen. Der erste Reflex lautete, abzuwarten und sich dann mit dem bewährten Produktionssystem wieder in alte Höhen aufzuschwingen.

In den vergangenen Monaten waren die Unternehmen voll und ganz damit beschäftigt, ihre operativen Prioritäten zu managen. Sie hatten schlicht nicht die Zeit, eine Zukunft zu entwerfen, die anders aussehen könnte als die Vergangenheit. Auch die ungewissen Aussichten auf die Zeit nach Corona ließen kreative Planspiele wenig sinnvoll erscheinen. In der Folge haben viele Akteure bis heute weder eine Strategie oder Kultur noch ein Geschäftsmodell entwickelt, um den Herausforderungen der „neuen Normalität“ gerecht zu werden.

Unserer Überzeugung nach ist es höchste Zeit, diesen Schritt jetzt nachzuholen. Im vorliegenden Artikel betrachten wir die Post-Covid-Trends in der Luftfahrtbranche und legen dar, weshalb eine bessere Wettbewerbsfähigkeit und operative Exzellenz durch mehr Digitalisierung – kurz: mehr erreichen mit weniger Einsatz – der Schlüssel zum Erfolg sein wird.

Die Herausforderungen der Post-Covid-Welt

Da grundlegende Indikatoren nach wie vor im Fluss sind, lässt sich der kurzfristige Marktverlauf nur schwer vorhersagen. Vor einem Jahr ging die Branche davon aus, dass die Pandemie bis Ende 2020 eingedämmt sein würde. Tatsächlich kamen eine zweite Infektionswelle, Virusmutationen und eine dritte Welle, auf die womöglich noch eine vierte folgen wird. Nun ruhen alle Hoffnungen darauf, dass die Impfprogramme das Coronavirus bis Sommer, spätestens aber Herbst, unter Kontrolle bekommen werden. Noch lässt sich also nicht eindeutig erkennen, wann der Luftverkehr wieder abheben bzw. wann die Phase der Selbstheilung beginnen kann.

Trotz dieser Ungewissheit treten schon jetzt zentrale Merkmale des künftigen Marktes so klar zutage, dass sich strategische Überlegungen daran orientieren können. Maßgeblich sind dabei drei fundamentale Trends: die demografische Entwicklung, die Digitalisierung und der Klimawandel.

  • Der Luftverkehr wird zurückkehren und erneut auf Wachstumskurs gehen. Die Szenarioanalyse von Roland Berger zeigt, dass der Fluggastverkehr bis 2024 das Vor-Krisen-Niveau erreichen wird, da die wichtigsten Wachstumstreiber (steigende Bevölkerungszahlen, wachsende Mittelklassen) intakt sind. Mehr als drei Viertel der Menschheit haben noch nie den Fuß in ein Flugzeug gesetzt. Zugleich sind Flugzeuge in vielen Teilen der Erde die beste Lösung für die zunehmenden Mobilitätsbedürfnisse. All dies eröffnet ein beträchtliches Potenzial für Wachstum.
  • Das Reiseverhalten wird sich aber verändern. Die Entwicklung in China zeigt, dass die Zahl der privaten Flugreisen steigt, sobald die Menschen sich sicher genug dafür fühlen. In anderen Ländern besteht noch ein erheblicher Nachfragestau. Andererseits wird der krisenbedingte Digitalisierungsschub seine Spuren im Business-Sektor hinterlassen. Während Geschäftsreisen zu Kunden wieder stattfinden dürften, sobald dies sicher ist, werden Flugreisen innerhalb von Unternehmen oder zu rein administrativen Zwecken wohl größtenteils entfallen. Laut unserer Analyse werden 20 bis 30 % der vor Corona üblichen Geschäftsreisen dauerhaft gestrichen – eine Einschätzung, die von maßgeblichen Führungskräften geteilt wird. Fast 80 % dieser Executives glauben, dass künftig weniger Geschäftsreisen erfolgen werden. CFOs gehen sogar davon aus, dass die Reisebudgets auf 60 % oder weniger des Vor-Krisen-Niveaus sinken werden.
  • Das Klimabewusstsein wird weiter wachsen. Die Luftfahrtbranche muss möglichst schnell Antworten auf diese Entwicklung finden, wenn sie verhindern will, dass sie ähnlich strikt reguliert wird wie die Automobilindustrie.

Die drei genannten Trends schärfen den Blick für die „neue Normalität“. Sie erlauben Rückschlüsse darauf, wie sich die Unternehmen und die Branche als Ganzes positionieren sollten, um für die Zukunft gewappnet zu sein:

  • Der Umbau von Netzwerken und die Anpassung der Flotten an veränderte Reisegewohnheiten wird die Rentabilität der Fluggesellschaften erheblich unter Druck setzen. Die Branche muss zwingend mehr Kosteneffizienz entwickeln und ihre Wettbewerbsfähigkeit sowie ihre operative Exzellenz drastisch verbessern.
  • Die derzeitigen Kapazitätsüberschüsse in der Luftfahrtindustrie werden in gewissem Umfang erhalten bleiben, weshalb weiter Rationalisierungs- und Konsolidierungsbedarf besteht.
  • Auch wenn es keine einfache Lösung für die Klimakrise gibt, muss jeder Branchenakteur als Teil der Wertschöpfungskette seinen Beitrag zu einer „grünen Luftfahrt“ leisten.

"Erfolg werden nur Unternehmen haben, die ihre Wettbewerbsfähigkeit deutlich steigern können."
Portrait of Manfred Hader
Senior Partner
Hamburg Office, Zentraleuropa

Mehr erreichen mit weniger Einsatz

Obwohl die drei Megatrends ganzheitlich und parallel anzugehen sind, konzentrieren wir uns hier auf den ersten Trend, d.h. auf eine bessere Wettbewerbsfähigkeit und operative Exzellenz.

Rund um den Globus haben Luftfahrtunternehmen erstaunlich schnell auf die Krise reagiert, Ausgaben gekürzt und Stellen abgebaut. Im Mittel wurden 20 bis 30 % der Arbeitsplätze gestrichen. Für die direkten Mitarbeiter hieß das, dass die Kapazitäten an die gesunkene Nachfrage angepasst wurden; die Zahl der indirekten Mitarbeiter wurde meist proportional dazu reduziert.

Mittlerweile zeigt sich, dass diese Personalpolitik Gefahren mit sich bringt. Zwei zentrale Fragen sind zu beantworten. Erstens:ie lässt sich das Produktionssystem umgestalten, sodass es nicht nur krisenfester und anpassungsfähiger ist, sondern auch hochgefahren werden kann, ohne die direkte Mitarbeiterzahl auf das Vor-Krisen-Niveau zu steigern? Dies ist essenziell, da die Unternehmen in der Post-Covid-Welt unter sehr viel schärferem Konkurrenzdruck stehen werden, sprich: mehr mit weniger Mitteln erreichen müssen.

Die zweite Frage lautet, wie die indirekten Funktionen gestaltet werden sollten. Einige dieser Funktionen sind nicht an die Unternehmensgröße oder Nachfrage gebunden. So müssen die Einkäufer in einem Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 1 Mrd. USD vermutlich kaum weniger Lieferanten betreuen als ihre Kollegen in einem Unternehmen, das nur 500 Mio. USD erwirtschaftet.

Die Antwort auf beide Fragen ist klar: Das Geschäftsmodell inklusive aller Prozesse, Strukturen und Technologien muss auf den Prüfstand gestellt und neu gedacht werden. Mit Blick auf das Produktionssystem bedeutet dies, die Make-or-Buy-Strategie zu überprüfen, die Kooperationen innerhalb der Lieferkette neu zu justieren und die Automatisierung voranzutreiben.

Bei den indirekten Funktionen sollten das Serviceniveau insgesamt hinterfragt und Möglichkeiten der Prozessautomatisierung genutzt werden. In diesem Zusammenhang könnten manuelle Arbeitsschritte und Workflow-Funktionen digitalisiert werden. Die Robotic Process Automation (RPA) kann hier schnelle Resultate liefern. Einfache, KI-gestützte Tools können mit beliebigen Systemen kombiniert werden, um routinemäßige Arbeiten zu automatisieren. RPA-Lösungen erfordern in der Regel nur geringe Investitionen und amortisieren sich meist in weniger als einem Jahr.

"Das Geschäftsmodell inklusive aller Prozesse, Strukturen und Technologien muss auf den Prüfstand gestellt und neu gedacht werden."

Torsten Welte

Global Head Industry Business Unit Aerospace & Defense
SAP

Digitalisierung als Erfolgsmotor

Die Verwendung von RPA-Tools berührt einen wichtigen Punkt: Die Digitalisierung der Luftfahrtindustrie hat noch viel Luft nach oben. Obwohl sich die Branche in der Vergangenheit mit Veränderungen oft schwertat, muss sie ihre Herangehensweisen angesichts der aktuellen Situation und der künftigen Herausforderungen von Grund auf überdenken. Der systematische Einsatz smarter Technologien wird hier zu einer besseren Performance führen, ohne die Kosten entlang der Wertschöpfungskette in die Höhe zu treiben. Die folgenden Beispiele verdeutlichen, wie dies konkret aussehen kann.

Visuelle Anleitungen

Mehr mit weniger Mitteln zu erreichen, heißt in der Fertigung entweder, dass unerfahrene Personalressourcen neue Aufgaben durchführen oder, dass vorhandene Aufgaben vielfältiger werden. Visuelle Anleitungen werden entscheidend dafür sein, dass sich ein höherer Durchsatz erzielen lässt, ohne dabei die Qualität zu gefährden. Die anschauliche Darstellung von Arbeitsschritten und Verknüpfungen zu Fertigungssystemen werden das Onboarding verbessern, Kompetenz und Selbstvertrauen der Mitarbeiter stärken und den Nacharbeitungsaufwand verringern. Die Einbettung visueller Anleitungen in Fertigungsmanagement- und ERP-Systeme wird sich auch positiv auf Datenqualität und Status-Updates auswirken, da die Beschäftigten direkt mit den Daten interagieren können. Viele Unternehmen könnten ihre ingenieurstechnischen Daten innerhalb weniger Tage in ein Tool für die visuell unterstützte Fertigung überführen. Nicht zuletzt kann auch die Wertschöpfung im Aftermarkt von visuellen Anleitungen profitieren.

Entwicklungsplattformen

Generell sollte die systematische Interaktion mit Daten in allen Bereichen eingeführt werden, in denen zuvor große Mengen an isolierten Reports erstellt wurden. Neue Arten der grafischen Darstellung, die Korrelationen mit kritischen betrieblichen Aspekten aufzeigen und Simulationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette ermöglichen, helfen bei der Entscheidungsfindung. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die Behandlung von Ausnahmesituationen. Während der Covid-19-Krise waren Mitarbeiter deutlich häufiger mit solchen Situationen konfrontiert, z.B. weil wichtige Komponenten fehlten. Für ihre effektive Bewältigung müssen Experten aus vielen Unternehmensbereichen zusammenarbeiten, sei es aus der Lieferkettenplanung, der Fertigung, der Qualitätssicherung, der Finanzabteilung oder dem Einkauf. All diese Teams müssen dieselben Prioritäten verfolgen und auf dieselben Ziele hinarbeiten. Eine solche komplexe Orchestrierung lässt sich einfacher umsetzen, wenn Embedded Analytics-Lösungen genutzt und Geschäftsprozessanwendungen entwickelt werden. Zur Steigerung ihrer Agilität sollten Unternehmen Entwicklungsplattformen einsetzen, mit denen sie ihre geschäftsgetriebenen Entwicklungsaktivitäten beschleunigen können. Diese Plattformen sollten cloudbasiert sein und neue Inhalte schnell bereitstellen, um kurze Entwicklungszyklen und damit effiziente Lösungen zu ermöglichen.

Interaktion entlang der Lieferkette

Ob der Weg zur operativen Exzellenz gangbar ist, hängt auch von der Implementierung eines durchdachten Planungsprozesses ab, der keinen Aspekt außer Acht lässt. So müssen operative Limits entlang der Lieferkette zwingend berücksichtigt werden, da Verzögerungen aufgrund von fehlenden Teilen, Tools oder Ingenieuren zusätzliche Kosten – insbesondere für die Lagerhaltung – verursachen. Um optimale Durchsatzzahlen zu erreichen, müssen Fertigungsmanagementsysteme und Lieferketten harmonisch aufeinander abgestimmt sein. Die Einführung technischer Änderungen muss alle Bereiche einbeziehen, um finanzielle und operative Auswirkungen zu minimieren. Mit manuellen Prozessen ist es schlicht nicht machbar, die benötigten Lieferkettendaten und operativen Informationen zu sammeln und den finanziellen Effekt anhand von Simulationsszenarien zu ermitteln. Im Idealfall sollten Fertigungslösungen und Lieferkettensysteme eng miteinander verzahnt sein. Die nahtlose Interaktion mit der Lieferkette von der Planung bis zur Ausführung ist maßgeblich für den operativen Erfolg. Zugleich ist der Aufbau von Lieferantenbeziehungen, die auf Vertrauen und gemeinsamen Daten basieren, ein wichtiger Enabler für mehr Lieferketten- und Fertigungsresilienz in der Luftfahrtindustrie.

Innovative Planungsansätze

Viele Luftfahrtunternehmen setzen traditionell auf eine mittelfristige Materialbedarfsplanung (MRP). Innovative Planungsansätze versprechen hier einen sofortigen Mehrwert, indem sie den Lagerbestand reduzieren, die Fertigungspriorisierung unterstützen und den Aufwand für die Nacharbeitung bzw. die Bewältigung von Ausnahmesituationen verringern. Für den Wechsel zu einer Absatz- und Vertriebsplanung (S&OP) bzw. einer langfristigen Planung müssen Mitarbeiter geschult und Daten z.B. zu Vorlaufzeiten detailliert erfasst und sorgfältig gepflegt werden. Der sofortige Nutzen dieses Wechsels äußert sich in niedrigeren Kapitalinvestitionen und weniger Ausschuss, da die Bestandsplanung anhand spezieller Tools erfolgt. Eine kollaborative Planung erfordert zwar gezielte Projektarbeit, verspricht jedoch einen exponentiellen Wertzuwachs durch ein besseres Lagermanagement auf Werksebene.

In drei Schritten zum Post-Covid-Erfolg

Auch die kommenden Monate werden der Luftfahrtindustrie noch viel abverlangen. Operative Herausforderungen wie Cashflow, Lieferleistung, Lieferanten-Risikomanagement, Personalmanagement werden an Dringlichkeit zunehmen. All diese Faktoren stecken jedoch auch das Spielfeld für die Nach-Corona-Welt ab. In dieser Welt werden nur die Unternehmen erfolgreich sein, die ihre Wettbewerbsfähigkeit deutlich steigern können. Der Weg dorthin besteht aus drei Schritten:

  • Erledigen Sie Ihre strategischen Hausaufgaben, und definieren Sie ein ambitioniertes Ziel für Ihre Wettbewerbsfähigkeit.
  • Nutzen Sie dieses Ziel, um Ihr Geschäftsmodell systematisch zu hinterfragen und Ihre Wertschöpfungskette auf Verbesserungspotenzial abzuklopfen.
  • Modernisieren Sie Ihr Geschäftsmodell, indem sie sich die Vorteile digitaler Technologien zunutze machen

Zusammengefasst: Beweisen Sie Weitblick, Courage und Entschlossenheit, indem Sie einerseits die pandemiebedingten, dringenden operativen Aufgaben angehen und andererseits das Bild größer ziehen und das Geschäftsmodell Ihres Unternehmens von Grund auf neu gestalten.

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