Article
Interview mit Padmasree Warrior, NIO U.S.

Interview mit Padmasree Warrior, NIO U.S.

19. Juni 2017

Auf der Auto Shanghai-Messe im April 2017 präsentierte sich NIO erstmals in China und beeindruckte mit drei Fahrzeugen: dem ES8, einem batterieelektrischen SUV mit geplantem Produktionsbeginn 2018, dem EP9, dem schnellsten Elektrofahrzeug der Welt, und dem "Eve" einem futuristischen Fahrzeugkonzept mit Automatisierungsstufe 4. Wolfgang Bernhart sprach mit Padmasree Warrior, CEO von NIO U.S., über die Fahrzeuge sowie die Strategie und Organisation von NIO.

Padmasree Warrior is the CEO at NIO U.S.
Padmasree Warrior is the CEO at NIO U.S.

  • Ursprünglich baute NIO Rennautos für die Formel E. Welche Art von Technologietransfer erwarten Sie zwischen der Formel E und (künftigen) Produktionsmodellen?

Von Anfang an hatten wir eine genaue Vorstellung davon, was wir mit der Teilnahme an der FIA-Formel-E-Meisterschaft erreichen wollten. Unser Ziel war es, die Meisterschaft zu gewinnen und weltweite Anerkennung für unsere technologischen Errungenschaften zu erlangen. Mit viel harter Arbeit und etwas Glück gewannen wir im Juli 2015 die erste FIA-Formel-E-Fahrer-Meisterschaft. Die wichtigsten Technologien, die wir von unseren Formel-E-Rennautos transferieren werden, sind unsere Entwicklungen im Bereich der Aerodynamik, des elektrischen Antriebsstrangs und der Batteriemanagementsysteme.

  • Der EP9 sorgte für Schlagzeilen, vor allem weil es ein extrem schnelles Elektroauto ist. Welche Positionierung ist für die anderen beiden in Shanghai vorgestellten Autos geplant?

Der ES8 wird in China für den chinesischen Markt entwickelt. Es ist ein vollelektrisches SUV mit sieben Sitzen, dessen Zielgruppe Familien in Chinas Tier-1- und Tier-2-Städten sind. Dort ist die hohe Luftverschmutzung ein enormes Problem, was auch ein wesentliches Motiv für die Gründung von NIO war. Einer der Hauptgründe, warum chinesische Konsumenten derzeit Elektrofahrzeuge kaufen, sind die großzügigen Regierungssubventionen. Zusätzlich bieten viele große Städte wie Shanghai weitere Anreize wie kostenlose Nummernschilder. In Chinas Großstädten ist die Beschaffung von Nummernschildern aufgrund der großen Anzahl an Fahrzeugen auf den Straßen sehr teuer.

Durch den Umstieg auf Elektrofahrzeuge wird die Luftverschmutzung sicherlich sinken. Gleichzeitig gibt es eine Reihe anderer Faktoren, die in unseren Städten Luftverschmutzung verursachen. Abgase von benzinbetriebenen Fahrzeugen sind nur ein Faktor. Wir können von unseren Konsumenten nicht verlangen, nur aus Umweltgründen Elektroautos zu kaufen. Wir müssen Autos herstellen, mit denen die Menschen wirklich gern fahren. Indem wir Erlebnisse schaffen, die die Erwartungen übertreffen, werden Verbraucher wie selbstverständlich zu Elektroautos greifen, was uns eine nachhaltigere Zukunft sichert. Der ES8 bewirkt genau das. In Bezug auf Leistung ist er vergleichbar mit Elektroautos der Oberklasse, bietet aber wesentlich besseren Service, angenehmere Nutzererfahrung und höheren Wert.

  • Doch worauf NIO langfristig abzielt, dürfte ein verbessertes Nutzererlebnis durch Automatisierung und Digitalisierung sein.

Die Nutzung des Autos verursacht heutzutage drei große Probleme für die Gesellschaft und ihre Nutzer: Umweltverschmutzung, Unfälle mit einer enormen Anzahl an Verletzten und Toten und Produktivitätseinbußen durch die täglichen Verkehrsstaus, vor allem in den USA und Europa, wo die Käufer von Premiumfahrzeugen keine Fahrer haben. Mit unserem Konzeptfahrzeug NIO „Eve“ bekämpfen wir alle drei Probleme gleichzeitig.

  • Richtet sich also ein künftiges Produktionsmodell von „Eve“ hauptsächlich an die USA und Europa?

Ja. Bis 2020 werden wir in den USA ein Fahrzeug mit Automatisierungsstufe 4 auf den Markt bringen, das dem präsentierten Konzept sehr nahekommt.

  • Sie haben einst erklärt: „Wir produzieren kein Auto, sondern einen Roboter, der wie ein Auto aussieht.“ Erachten Sie NIO eher als Softwareunternehmen oder als Autohersteller?

NIO ist mehr als ein Software- oder Autohersteller. Wir sind ein „Endnutzer-Unternehmen“. Das bedeutet, dass wir Produkte aus der Sicht des Verbrauchers herstellen. Wir orientieren uns eher am Verbraucher als am Unternehmen oder Produkt. Wir möchten eine erstklassige Erfahrung bereitstellen und ein Auto produzieren, dessen F&E-Arbeit und Produktion von den Bedürfnissen der Verbraucher bestimmt werden.

Wir möchten Produktivität, Entspannung und Entdeckergeist fördern. Ein hohes Maß an Automatisierung, z. B. auf längeren Autobahnfahrten oder im Stau, kombiniert mit Konnektivität ermöglicht dem Fahrer, seine Zeit im Auto produktiver zu nutzen, z. B. durch das Halten von Videokonferenzen. Alternativ bietet unser Innenkonzept auch Entspannung, sodass sich der Fahrer während der Zeit im Auto ausruhen kann. Um neue Entdeckungen zu ermöglichen, versteht unser digitaler Assistent NOMI Ihre Bedürfnisse und Präferenzen und verwendet diese, um Sie zu leiten. Unsere Fahrzeuge werden mit unserem intelligenten, benutzerfreundlichen interaktiven Designkonzept ausgestattet sein, das eine angenehme Nutzererfahrung durch digitale Interaktion bietet.

  • Im Oktober 2016 schlossen sich NIO und Mobileye, ein israelisches Technologieunternehmen, das fortschrittliche optische Fahrerassistenzsysteme entwickelt, zu einer strategischen Partnerschaft zusammen. Anfang letzten Jahres unterzeichnete NIO ein Abkommen mit dem chinesischen Autohersteller Anhui Jianghuai Automobile. Was erledigt NIO im eigenen Haus und für welche Aufgaben sucht es Partnerschaften?

NIO hat F&E-, Design-, Produktionseinrichtungen und Vertretungen in San José, München, London und Shanghai sowie an acht weiteren Standorten. Wir verfügen auch über erfahrene Mitarbeiter von weltbekannten Fahrzeug-, Technologie- und User-Experience-Unternehmen. Wir stellen die Kernkomponenten unserer Fahrzeuge in unseren Fabriken in Nanjing und Changshu her.

Was Partnerschaften anbelangt, so suchen wir Partner mit guten Fertigungsfähigkeiten, die unsere strengen Vorgaben erfüllen und unsere Unternehmenswerte verstehen. JAC Motors, mit der offiziellen Bezeichnung Anhui Jianghuai Automobile, ist einer unserer Fertigungspartner. Seine Kompetenzen bei Produktions- und Lieferkettenmanagement werden uns bei der Fertigung unseres ersten Serienfahrzeugs enorm unterstützen.

  • Wie arbeiten die Teams in China und hier in Kalifornien zusammen?

Das chinesische Team ist für Fahrzeuge für den chinesischen Markt zuständig und verfügt über weitreichende Entwicklungskompetenzen. Unser Designbüro in München unterstützt es beim Fahrzeugdesign. Hier in Kalifornien entwickeln wir L4-/L5-Fahrzeuge für den US-amerikanischen und europäischen Markt. Wir übernehmen die vollständige Konzeption für vollautomatische Fahrzeuge und sind auch für Softwarekomponenten für China verantwortlich. Software und „durch Software definierte“ Hardware, wie z. B. ADAS-Systeme, stammen von hier. In dieser Hinsicht ist das chinesische Team ein Kunde. Doch damit wir uns auf die zwei unterschiedlichen Kundensegmente konzentrieren können, haben wir eine relativ unabhängige Organisation, in der wir Produktions-, Liefer- und Entwicklungskompetenzen weltweit nutzen.

Padma, vielen Dank für das Interview!