Studie beziffert Einsparpotenziale und die wichtigsten Ansatzpunkte
Seit vielen Jahren wird darüber diskutiert, wie die Kostensteigerung im deutschen Gesundheitswesen am besten gebremst werden kann. In diesem Zusammenhang wurden zuletzt Forderungen nach einer stärkeren Steuerung der Patienten immer lauter – sowohl von Seiten der Krankenkassen als auch von Ärztevertretern und der Politik.
Indem sie hilft, die Menschen noch häufiger richtig zu behandeln und dringlichen Fällen den notwendigen Vorrang einzuräumen, kann Patientensteuerung dazu beitragen, die Kosten der Gesundheitsversorgung zu senken und gleichzeitig eine bessere medizinische Versorgung zu ermöglichen. Wie ein internationaler Vergleich zeigt, ist eine koordinierte Versorgung tatsächlich eines der zentralen Systemprinzipien vieler Länder, deren medizinische Versorgung als besonders vorbildlich gilt, darunter Australien oder die skandinavischen Staaten.
Die positiven Effekte sind also gut belegt. Unklar ist indes, welche konkreten Einspareffekte sich durch eine stärkere Patientensteuerung erzielen lassen könnten. In einer aktuellen Studie haben
Roland Berger-Gesundheitsexperten
untersucht, wie hoch das Einsparpotenzial einer Patientensteuerung in Deutschland ist, in welchen Bereichen die größten Effekte zu erwarten sind und an welchen Stellen Krankenkassen und Politik schon heute ansetzen können.
"Das deutsche Gesundheitswesen verfügt über ausreichende Ressourcen. Leider werden sie noch zu wenig koordiniert. Die Folgen: hohe Kosten und eine gemessen daran unterdurchschnittliche Versorgung."
Einsparpotenzial: Über 6 Prozent der jährlichen Gesundheitskosten
In Deutschland werden jedes Jahr rund 312 Milliarden Euro für medizinische Versorgung ausgegeben. 26 Milliarden Euro, das entspricht knapp 8 Prozent, ließen sich der Untersuchung zufolge durch eine bessere koordinierte Versorgung einsparen - nach den nötigen Investitionen in digitale Tools und IT-Infrastruktur bleibt immer noch eine Nettoeinsparung von über 20 Mio. Euro.
In ihrer Berechnung haben die Experten alle relevanten Sektoren untersucht. Im ambulanten Sektor summieren sich die Einsparungen durch die Vermeidung von Erstbesuchen und die Reduktion von Folgebesuchen – unter anderem durch den gezielten Einsatz telemedizinischer Leistungen – auf 1,2 Mrd. Euro. Den größten Hebel sehen die Autoren in der Vermeidung von Krankenhausaufenthalten, unter anderem durch eine konsequente Ambulantisierung stationärer Leistungen. Zusammen mit der Vermeidung medizinisch nicht notwendiger Behandlungen ergibt sich hier ein Einparpotenzial von 10,3 Mrd. Euro. Mit 2,6 Mrd. Euro könnte auch eine stärkere Arzneimittelsteuerung – beispielsweise zur Vermeidung von Wechselwirkungen – einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung weiterer Kostensteigerungen leisten.
Auch die Potenziale der Patientensteuerung in den wichtigsten Indikationen haben die Autoren analysiert. Zu den untersuchten Indikationen zählen verbreitete Volkskrankheiten wie Rückenschmerzen, psychische Erkrankungen, Schlaganfall, Arthrose, Krebs oder COPD. Das gesamte Einsparpotenzial in diesen Indikationen summiert sich nach ihren Berechnungen auf 14 Mrd. Euro. Zusammen mit den sektorspezifischen Einsparungen ergibt sich daraus eine Einsparsumme von mindestens 8 Prozent der GKV-Leistungsausgaben von 312 Mrd. Euro im Jahr 2024.
"Durch konsequente Patientensteuerung könnten über 20 Milliarden Euro allein in der GKV
eingespart werden. Wenn wir die ambulante Versorgung und die Primarprävention stärken, entstehen zusätzliche Potenziale.
"
Um ihre Berechnungen zu plausibilisieren, haben die Autoren zusätzlich eine Umfrage unter Versorgungsexperten der größten gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen durchgeführt. Die Befragung zeigt eine hohe inhaltliche Deckung mit den Kernaussagen der Studie. So sehen auch die Kassenvertreter den größten Hebel zur Ausgabensenkung in der Vermeidung unnötiger Krankenhausaufenthalte. Hier werden insbesondere die Ambulantisierung geeigneter Fälle, die Reduktion von Überversorgung (z. B. bei bestimmten Operationen) sowie die Nutzung von Zweitmeinungsverfahren als wirksame Ansätze genannt.
Eine stichprobenartige Befragung unter niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten hat zudem ergeben, dass auch diese einer stärkeren Steuerung durchaus offen gegenüberstehen. Vor allem komplexe Krankheitsbilder, unklare Symptome und Behandlungsbedarf durch mehrere Fachrichtungen werden als geeignete Ansatzpunkte für eine stärkere Steuerung der Patienten gesehen.
Empfehlungen für eine schnelle Umsetzung
Wie die Expertenbefragung ebenfalls zeigt, müssen zunächst einige Voraussetzungen erfüllt sein, damit die skizzierten Potenziale realisiert werden können. Dazu zählen unter anderem die Einführung eines verpflichtenden Primärarztsystems (Gatekeeping), automatisierte Hinweise auf Zweitmeinungsverfahren (z. B. aus dem PVS) sowie der Aufbau indikationsspezifischer Versorgungspfade als verbindliche Steuerungsinstrumente.
Die Autoren schließen ihre Ausführungen mit fünf Empfehlungen, die eine schnelle Umsetzung einer stärkeren Patientensteuerung in Deutschland ermöglichen sollen. So müsse der Gesetzgeber zunächst eine systematische Übersicht der Hebel und jeweils erforderlichen Maßnahmen erstellen, damit auf dieser Grundlage Ziele definiert und die wichtigsten Themen in Angriff genommen werden können. Im nächsten Schritt müssten unter anderem ein geeigneter gesetzlicher Rahmen und eine Spezifikation für die standardisierte Ersteinschätzung geschaffen werden. Weiter fordern sie, interdisziplinäre Strukturen zu stärken und den digitalen Ausbau voranzutreiben, etwa im Hinblick auf digitale Buchungsplattformen oder eine
digitale
Ersteinschätzung.
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STUDIE
Patientensteuerung und koordinierte Versorgung
Seit vielen Jahren wird darüber diskutiert, wie die Kostensteigerung im deutschen Gesundheitswesen am besten gebremst werden kann. In diesem Zusammenhang wurden zuletzt Forderungen nach einer stärkeren Steuerung der Patienten immer lauter – sowohl von Seiten der Krankenkassen als auch von Ärztevertretern und der Politik.