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Die Automobilindustrie auf dem Weg von Hardware zu Software

Die Automobilindustrie auf dem Weg von Hardware zu Software

18. April 2024

Wie Governance-Funktionen die Transformation unterstützen – Analyse und Lösungswege

Kaum eine Branche steht so massiv unter Transformationsdruck wie die Automobilindustrie. Auf dem Weg in eine CO2-neutrale Zukunft müssen die Unternehmen ihre Einkaufsprozesse, Entwicklungs- und Produktionsmethoden und ihre Vertriebsmodelle grundlegend überdenken. Derweil könnte die Unsicherheit über die weitere Marktentwicklung und künftig erfolgversprechende Geschäftsmodelle kaum größer sein. Der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld prägte in diesem Zusammenhang das Diktum von den "unknown Unknowns".

Projektion eines Autos vor einem Stadthintergrund im digitalen Format
"Die Frage ist nicht, ob das Software- oder Hardware-Mindset überlegen ist. Automobilhersteller, die einen Weg finden, beide Welten zu verbinden, werden künftig einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil haben."
Portrait of Caroline Merk
Partner
Frankfurt Office, Zentraleuropa

Die Frage, welchen Beitrag die Governance-Funktionen in solchen Umbruchphasen leisten können, wurde bislang nur wenig beleuchtet. Wir sind überzeugt, dass sie eine Schlüsselrolle bei der erfolgreichen Transformation der Automobilindustrie spielen können, indem sie helfen, Hard- und Softwarewelt miteinander zu verbinden und aus dieser Verbindung neue Wertschöpfungspotenziale zu entwickeln – vorausgesetzt, sie sind bereit, sich laufend selbst zu transformieren.

Governance-Funktionen setzen den Rahmen und gestalten den Umbruch

Was versetzt die Bereiche Recht, Compliance, Interne Revision, Integrity Management und Risikomanagement in diese machtvolle Lage? Es ist vor alle die Dualität von „Shape & Protect“ – ein Konzept, das die Mercedes-Benz Group schon seit mehreren Jahren in ihrem Leitbild verankert hat. In ihrer "Protect"-Funktion schaffen und sichern die Governance-Funktionen den rechtlichen und faktischen Ordnungsrahmen der Transformation. Dabei managen sie nicht nur Risiken, sondern sind zugleich aktive Gestalter des Umbruchs, indem sie neue Möglichkeiten ausloten und dabei ihre „Shape“-Rolle ausfüllen.

Aus knapp einem Dutzend Fachinterviews mit Führungskräften der Mercedes-Benz Group AG, wissenschaftlicher Literatur zum Thema und der Branchen- und Transformationsexpertise unserer Partner haben wir sechs Bausteine des Wandels vom Hardware- zum Software-Unternehmen abgeleitet, zu denen Governance-Funktionen einen wichtigen Beitrag leisten.

Software-Mindset

Unternehmen der Automobilbranche stehen aktuell vor der Herausforderung, neben dem bestehenden "Hardware-Mindset" auch ein "Software-Mindset" aufzubauen – und zu integrieren. Weil beide Ansätze für sehr unterschiedliche Arten des Denkens, Steuerns und Managens stehen, ist das nicht ganz einfach. Während traditionelle Konzepte von längeren Entwicklungszyklen, wenigen, eher großen Projekten, hierarchischen Strukturen und einem ROI-getriebenen Vorgehen geprägt sind, setzt der aus der Software-Entwicklung stammende Ansatz auf kurzfristige, iterative Entwicklungsprozesse und eine projektzentrierte Herangehensweise.

Weil es in der Automobilindustrie bislang nicht viele Führungskräfte gibt, die in beiden Welten zuhause sind, müssen Neugier und Offenheit neu erlernt und gezielt gefördert werden. Governance-Funktionen kommt hierbei die Aufgabe zu, die Ausbildung dieser Kompetenzen zu unterstützen und die Integration beider Ansätze voranzutreiben. Gleichzeitig müssen die verschiedenen Governance-Bereiche die unterschiedlichen Welten in ihrer eigenen Arbeit reflektieren und prüfen, welche Implikationen sich daraus für ihre eigenen Personalprofile oder Arbeitsprozesse ergeben.

Transformation path for every function / Ganzheitlicher Ansatz

Eine Transformation der Dimension, wie sie sich derzeit in der Automobilindustrie vollzieht, kann nur gelingen, wenn alle ihren Beitrag leisten. Dabei startet jede Funktion aus einer anderen Position. Deswegen muss jeweils ein eigener Pfad definiert, geplant und umgesetzt werden. Den Ausgangspunkt für die Entwicklung funktionsspezifischer Transformationspfade bilden sogenannte Ausgangs- oder Nullpunktmessungen. In unserem Fall beschreibt die Nullpunktmessung den Ausgangsunkt einer Funktion in Bezug auf ihren Beitrag zur Transformation.

Als Katalysator für den Wandel können die Governance-Funktionen die gesamte Organisation bei der Definition der Transformationspfade begleiten. Oberstes Ziel dabei ist es, die Funktion näher an die aktuellen Bedürfnisse der Kunden heranzurücken und dadurch ihren Mehrwert zu erhöhen. Da die meisten Beschäftigten in Governance-Funktionen traditionell keine Projektmitarbeitenden sind, wird diese Aufgabe bisher in den meisten Fällen zwar konzeptionell gut, aber deutlich zu reaktiv erfüllt.

Every problem is my problem / Kollektive Problemlösung

Mit der Vorstellung, dass für bestimmte Aufgaben nur die jeweils direkt tangierten Bereiche zuständig sind, wird der für die Transformation erforderliche Mentalitätswandel nicht gelingen. Eine Kultur der geteilten Verantwortung und Problemlösung ("Every problem is my problem") schätzt und fördert eine proaktive Einstellung bei der Identifikation und Lösung von Herausforderungen.

Governance kann einen solchen funktionsübergreifenden Ansatz sicherstellen, indem es Prozesse über Abteilungsgrenzen hinweg zu Ende denkt und Kompetenzen zusammenbringt. Dazu müssen die jeweiligen Funktionen ihren "Elfenbeinturm" verlassen und den Kontakt mit der operativen Basis suchen. Indem sich auch die Governance-Funktionen selbst dem Wandel stellen und ihr Betriebsmodell mehr und mehr auf eine möglichst intensive Integration ins Tagesgeschäft ausrichten, leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer Kultur der kollektiven Problemlösung.

Incentivation on results instead of tasks / Ergebnisorientierung

Vielen Konzernbeschäftigten dürfte dieses Phänomen bekannt sein: Die Lösung eines bestimmten Problems oder das Aufgreifen eines neuen Trends könnte zwar im Interesse des gesamten Unternehmens sein. Solange eine entsprechende Aktivität nichts mit der incentivierten Einzelaufgabe einer bestimmten Führungskraft zu tun hat, wird sie allerdings unbearbeitet bleiben. Durch diese Steuerungsmechanismen entgehen großen, komplexen Organisationen, in denen das Spielfeld und die Einblicke der Mitarbeitenden begrenzt sind, Jahr für Jahr enormes Potenzial.

Governance kann den Gesamtprozess der Transformation genauso wie sämtliche Implikationen aus Kundenperspektive im Blick behalten. Hier erwartet die verschiedenen Funktionen ein forderndes Aufgabengebiet, das aber auch großen Gestaltungsspielraum bietet. Bei den Voraussetzungen, etwa End-to- End-Denken, gibt es in vielen Funktionen noch Defizite. Der Auf- und Ausbau entsprechender Fähigkeiten muss mit einer Incentivierung der Ergebnisse Hand in Hand gehen.

Decision-making by investment committee / Schwarmintelligenz

Erfolgreiche Transformationen haben ihre Wurzeln in einer hohen Umschlagshäufigkeit von Ideen. Doch erst die Kompetenz, aus der Fülle der Ideen die richtige(n) auszuwählen, entscheidet über den Erfolg. Das Problem: In den meisten großen Konzernen mangelt es an Entscheidungsfreude. Unternehmen brauchen deswegen neue Ansätze, die die Mitarbeitenden dazu ermutigen, unternehmerisch zu denken und zu entscheiden.

Die an der University of Bath (UK) lehrende US-Wissenschaftlerin Professor Margaret Heffernan empfiehlt sogar einen noch radikaleren Schritt: die Einführung eines mit Talenten besetzten Investment Committees. Governance kann dem skizzierten Bewertungs- und Entscheidungsprozess den geeigneten Rahmen geben. In seiner "Shape & Protect"-Funktion gewährleistet sie, dass nichts übersehen wird. Zudem sollten Governance-Funktionen Schwarmintelligenz auch zur Lösung wichtiger Fragen in ihren eigenen Bereichen nutzen und in die Rolle des Orchestrators schlüpfen, um die beteiligten Funktionen in der Entscheidungsfindung zu steuern.

New workforce mix

Um die Transformation zu meistern, brauchen Unternehmen einen ausgewogenen Mix aus erfahrenen Fachkräften und jungen Talenten – in der Automobilindustrie eher die Ausnahme. OEMs müssen sich daher fragen, wie sie für Talente mit den unterschiedlichsten Hinter- gründen, Berufs- und Ausbildungswegen gleichermaßen attraktiv werden und bleiben.

Governance-Funktionen können die Etablierung diverser Teams unterstützen, indem sie neue Perspektiven ins Team bringen, sich für alternative Profile öffnen und den dynamischen Aufbau von Kompetenzen fördern. Dabei müssen Governance-Funktionen auch ihr eigenes Profil hinterfragen, ein Zielbild für den erforderlichen Kompetenzmix erstellen und ihre Teams kontinuierlich weiterentwickeln.


Noch sind die Voraussetzungen dafür, dass Governance-Funktionen die beschriebene Schlüsselrolle bei der Transformation übernehmen, nur in wenigen Unternehmen gegeben. In den meisten Fällen stehen sie vor der Aufgabe, ihre Prozesse, Strukturen und Kompetenzen den veränderten Anforderungen anzupassen und sich selbst zu transformieren. Gleichwohl sehen wir an vielen Stellen erfolgsversprechende Initiativen und Schritte, die unseren Eindruck bestätigen: dass der Wandel schneller und erfolgreicher gelingt, wenn die Governance-Funktionen bestmöglich eingebunden sind.

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