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Smart Cities müssen den Bürgern echten Mehrwert bieten

Smart Cities müssen den Bürgern echten Mehrwert bieten

17. Januar 2020

Vielen Städten fehlt eine Strategie, aber auch das Know-how zur Umsetzung

Als Strategie- und Digitalisierungsexperte hat Thilo Zelt viele Kunden bei der Entwicklung und Umsetzung ihrer Smart City-Strategie begleitet. Er ist außerdem Autor des Smart City Strategy Index, für den Roland Berger regelmäßig weltweit Smart Cities und ihre Strategien analysiert.

Bessere Luft, weniger Staus, mehr Sicherheit auf den Straßen: mithilfe digitaler Technologien wollen Smart Cities Antworten auf die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft liefern.
Bessere Luft, weniger Staus, mehr Sicherheit auf den Straßen: mithilfe digitaler Technologien wollen Smart Cities Antworten auf die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft liefern.

Herr Zelt, wer die Diskussion über Smart Cities verfolgt, gewinnt schnell den Eindruck, dass es dabei vor allem um Technologie geht. Ist das so?

Diese Verengung gibt es häufig, sie ist aber nach unserer Überzeugung ein großer Fehler. Ausgangspunkt von Smart Cities muss vielmehr die Frage sein, welche übergreifenden Ziele eine Stadt erreichen will. Technologische Aspekte sind erst dann von Bedeutung, wenn klar ist, was man erreichen will und welche Lösungsansätze es dafür gibt.

In Ihrem neuesten Smart City Index schneiden Wien und London besonders gut ab. Was machen diese Städte besser als andere?

Die österreichische Hauptstadt hat sehr ambitionierte Klimaziele, von denen sich viele andere Ziele ableiten. Genau an diesem Punkt setzt die Smart City-Strategie sektorübergreifend an. Die in unserem Index gut platzierten Städte bieten außerdem konkrete Lösungen, die den Menschen im Alltag echten Mehrwert bieten, also etwa bessere Luft oder eine geringere Kriminalität. Schließlich spielt das Thema Beteiligung nach unserer Überzeugung eine wichtige Rolle. Auch hier sind die genannten Städte führend, denn sie bieten ihren Bürgern die Möglichkeit, sich einzubringen und die Prozesse mitzugestalten. Diese Transparenz schlägt sich später in der Akzeptanz der Ergebnisse nieder.

Sie haben die Strategie als zentralen Erfolgsfaktor erwähnt. Ist die Umsetzung nicht mindestens genauso schwierig?

Doch, aber die Umsetzung wird viel einfacher, wenn man vorher gut geplant hat. Aus unseren Analysen und der Arbeit mit Kunden wissen wir, dass zunächst oft die schiere Komplexität des Themas Smart City eine große Herausforderung darstellt. Eine Strategie definiert erst einmal klare Schwerpunkte und Prioritäten. Viele Kommunen wissen auch nicht, wie man eine Organisations- und Steuerungsstruktur für derartige Projekte aufsetzt. Eine Strategie ermöglicht, das aufzusetzen und auch eine konkrete Projektplanung und Budgetierung vorzunehmen. Das zweite große Problem ist die fehlende Koordination aller Beteiligten. Da Digitalisierung immer ein Querschnittsthema ist, ist dieser Punkt aber ganz entscheidend und sollte deswegen schon bei der Strategieentwicklung angegangen werden.

Was empfehlen Sie, um die Probleme zu lösen?

Ein wichtiger Rat lautet, sich lokale Partner zu suchen und deren Ressourcen zu aktivieren. Die örtlichen Energieversorger, kommunale Dienstleister, aber auch die Privatwirtschaft können nicht nur ihre Expertise und ihr Netzwerk einbringen. Häufig geben sie auch wichtige Impulse für innovative Lösungen, die sich in der jeweiligen Stadt besonders anbieten. Dieses Potenzial sollte unbedingt genutzt werden.

Welche Rolle spielen kommunale Unternehmen in diesem Kontext?

Sie könnten eine zentrale Rolle spielen, denn die Versorgungs-Infrastruktur ist ja ohnehin zu großen Teilen in ihrer Hand. Denken Sie an Stadtwerke, Verkehrsbetriebe oder Parkhausbetreiber. Deren Erfahrungen und Kompetenzen müssen im Rahmen einer Smart City-Strategie orchestriert und aktiviert werden. Auf der anderen Seite können kommunale Unternehmen Initiatoren oder Sponsoren entsprechender Strategien sein. In einigen Städten ist das bereits der Fall, insgesamt aber eher noch die Ausnahme, denn nur wenige kommunale Anbieter sind bereit, ihr angestammtes Revier zu verlassen.

Damit entgeht den Unternehmen doch Geschäft, oder?

Auf jeden Fall! Nach unserer Einschätzung schlummern vor allem in der neuen Mobilität große wirtschaftliche Potenziale, aber auch in den Bereichen Datenstrategie, Datenmanagement und Datenplattformen. Insbesondere die Plattformen, die Daten aus verschiedenen Quellen integrieren, sind der perfekte Nährboden für neue Lösungen und Geschäftsmodelle, von denen kommunale Unternehmen, aber auch Technologieanbieter oder Start-ups profitieren könnten.

Wir haben über Strategien und Erfolgsfaktoren von Smart Cities gesprochen. Welche Rolle spielt eigentlich der Mensch in all diesen Überlegungen?

Zum Glück eine immer größere, weil immer mehr Städte verstehen, dass die Bürgerinnen und Bürger informiert, eingebunden und beteiligt werden müssen, wenn die Lösungen am Ende überzeugend und alltagstauglich sein sollen. Gleichzeitig muss man diesen Punkt auch im jeweiligen kulturellen Kontext betrachten. Wenn die umfassende Überwachung von Straßen und Plätzen weniger Staus oder Verbrechen nach sich zieht, werden viele Menschen das sicher positiv bewerten, aber nicht alle. Eine soziale Kontrolle bis in den privaten Bereich lehnen Bürger in liberalen Demokratien dagegen klar ab. Es ist also jeweils vor Ort zu klären, was erwünscht und notwendig ist.

Wann wird das, was wir heute als Smart City bezeichnen, Standard sein?

Nach meiner Einschätzung befinden wir uns derzeit an einem Wendepunkt, denn jede größere Stadt hat das Thema aktuell auf der Agenda. Allein in Deutschland nennen acht von zehn Kommunen Smart City als zentrales Handlungsfeld ihrer Politik. In vielen anderen Ländern ist die Entwicklung ähnlich und teilweise sogar schon weiter. Ich gehe deswegen davon aus, dass wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren weltweit große Fortschritte erzielen werden.

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