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Vom schlafenden Riesen zur Verteidigungs-Supermacht

Vom schlafenden Riesen zur Verteidigungs-Supermacht

15. Mai 2025

Europas Weg zu einer nachhaltigen Abschreckung in einem sich wandelnden Sicherheitsumfeld

Europa befindet sich in einer existenziellen Bedrohungslage. Obwohl die Verteidigungsausgaben des Kontinents steigen, erfordert eine nachhaltige Abschreckung mehr als nur finanzielle Mittel – sie erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der den sich wandelnden Paradigmen der Kriegsführung gerecht wird. In einer neuen Publikation untersucht Roland Berger, wie Europa seine industriellen Kapazitäten ausbauen und Innovationen vorantreiben kann, und zeigt dabei vorrangige Bereiche für öffentliche und private Akteure auf.

Veränderte Dynamik der Abschreckung: Von der „alten“ zur „neuen Welt“.
Veränderte Dynamik der Abschreckung: Von der „alten“ zur „neuen Welt“.
"In einer „neuen Welt“ können zivile Innovatoren Verteidigungsunternehmen dabei unterstützen, agil und kosteneffizient zu bleiben."
Eric Kirstetter
Senior Partner
Paris Office, Westeuropa

Seit der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 und der umfassenden Invasion der Ukraine im Jahr 2022 steht Europa vor seiner größten Sicherheitskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Gleichzeitig hat eine geschwächte transatlantische Allianz Europa dazu veranlasst, seine Verteidigungsstrategie zu überdenken, was zu umfangreichen Investitionen und ehrgeizigen Plänen auf nationaler und internationaler Ebene geführt hat.

So hat beispielsweise die neue deutsche Regierung die Genehmigung für ein schuldenfinanziertes Verteidigungsinvestitionspaket erhalten, während Frankreich einen Verteidigungshaushalt von bis zu 5 % des BIP prüft und das Vereinigte Königreich bis 2027 2,5 % des BIP erreichen will. Der „ReArm Europe Plan/Readiness 2030“ der Europäischen Kommission könnte ebenfalls bis zu 800 Mrd. EUR mobilisieren.

Der aktuelle Stand der europäischen Verteidigung

Bezogen auf Truppenstärke und operative Plattformen bleibt Europa (27 EU-Mitglieder plus das Vereinigte Königreich) im Vergleich zu Russland und den beiden größten Militärmächten der Welt, China und die Vereinigten Staaten, eine beträchtliche Kraft. Dennoch sind wir der Ansicht, dass Europa in sieben übergeordneten Bereichen Verbesserungen vornehmen muss, um seine Abschreckungsfähigkeit zu stärken. Die Bewältigung dieser Herausforderungen wird für die Sicherheit, Autonomie und Bereitschaft des Kontinents von entscheidender Bedeutung sein. Diese sind:

  1. Europäische Verteidigungszusammenarbeit
  2. Investitionen in Innovation, Forschung und Entwicklung
  3. Industrieller Maßstab und Kapazität
  4. Truppenstärke
  5. Anpassung an die Entwicklung der Kriegsführung
  6. Zugang zu strategischen Wegbereitern
  7. Gesellschaftliche Resillienz

Konfrontiert mit einem breiten Bedrohungsspektrum

Die Kriegsführung verändert sich rasant. Europa steht heute einem breiten Spektrum von Bedrohungen gegenüber, die von konventioneller militärischer Aggression bis hin zu hybriden Taktiken und Zwangsmaßnahmen reichen und die Sicherheit und Stabilität des Kontinents untergraben. Diese Bedrohungen unterstreichen die dringende Notwendigkeit für Europa, sich aus der „alten Welt“ zu lösen und in eine „neue Welt“ zu begeben, in der die bestehenden Verteidigungsfähigkeiten durch neue ergänzt werden, die dem modernen Paradigma der Kriegsführung entsprechen.

Mehrere zentrale Faktoren werden Europa diesen Übergang begünstigen. Dazu gehören verbesserte digitale Fähigkeiten in Bereichen wie KI zur zügingen Skalierung und unbemannten Systeme, eine größere industrielle Agilität zur schnellen Skalierung der Produktion, schnellere Beschaffungsprozesse und eine stärkere zivile und militärische Integration.

Wie man Verteidigungsfähigkeiten schnell ausbauen kann

In unserem aktuellen Bericht definieren wir wir die Abschreckungsschwelle als industrielles Produktionsziel, das zur Aufrechterhaltung und Erneuerung der militarischen Fähigkeiten Europas erforderlich ist.

Der ausschließliche Rückgriff auf die bisherige Verteidigungsproduktion ist teuer, zeitaufwändig und birgt die Gefahr von Überkapazitäten, sobald Krisen abklingen. Unser Ansatz sieht daher einen hybriden Rahmen vor, der vier verschiedene Handlungspfade kombiniert:

  • Steigerung der Produktionskapazitäten in Friedenszeiten, um ein stabiles Fundament zu legen
  • Gezielte Investitionen in Produktionsanlagen um bestehende Fertigungslinien zu modernisieren und eine rasche Steigerung der Produktionsleistung zu ermoglichen
  • Nutzung ziviler Industrien für Outourcing, um Engpässe in der Lieferkette zu beseitigen
  • Aufbau von Produktionskapazitäten für eine smarte, hochvolumige und kosteneffiziente Aufrüstung

"Europa braucht ein abgestimmtes Vorgehen von öffentlichen Behörden, privaten Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Institutionen, um seine Widerstandsfahigkeit und Einsatzbereitschaft sicherzustellen."
Manfred Hader
Senior Partner
Hamburg Office, Zentraleuropa

Wie lässt sich die Abschreckungsschwelle erreichen?

Die Realisierung dieser Pfade erfordert eine wirksame Koordinierung zwischen den verschiedenen Schlüsselgruppen, insbesondere angesichts der vielschichtigen Entscheidungsprozesse auf nationaler und europäischer Ebene.

Als Reaktion darauf schlagen wir drei Schlüsselgruppen für jede der drei wichtigsten Interessengruppen vor: europäische politische Entscheidungsträger und militärische Stellen, Unternehmen der Verteidigungsindustrie und Akteure ziviler Industriezweige der Verteidigungsindustrie und Akteure außerhalb der Verteidigungsindustrie. Diese Empfehlungen zielen darauf ab, die Zusammenarbeit zu verstärken, verbleibende Kapazitätsengpässe zu beseitigen und eine glaubwurdige Abschreckung zu sichern, wobei die aktuellen industriellen und politischen Realitäten in Europa berücksichtigt werden.

Ausblick: Eine nachhaltige Abschreckung ist erreichbar.

Die militärische Abschreckung zu vernachlässigen, ist keine Option mehr – Europa muss jetzt seine Verteidigungsfähigkeiten stärken.

Die gute Nachricht? Europa hat sowohl die Mittel als auch das Potenzial, um diese Herausforderung zu meistern. Die Zeit ist knapp, aber wenn es den Mitgliedstaaten gelingt, ihre nationalen Anstrengungen besser zu koordinieren, könnte die industrielle Basis schneller wachsen als viele erwarten.

Die Geschichte zeigt, dass Europa aus großen Krisen stets gestärkt hervorgegangen ist. Mit Einigkeit, Entschlossenheit und einer klaren strategischen Vision kann der Kontinent erneut eine industrielle Führungsrolle übernehmen – und die Grundlage für eine nachhaltige Abschreckung schaffen.

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Weiterführende Literatur
Felix Mogge
Senior Partner, Supervisory Board Vice Chairman
München Office, Zentraleuropa
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