Kennzahlen: Mit allem rechnen

Think:Act Magazine "Performance: Schneller, Höher, Stärker"
Kennzahlen: Mit allem rechnen

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München Office, Zentraleuropa
27. September 2023

Wie sinnvoll sind Kennzahlen wirklich, wenn Sie Ihre geschäftliche Performance messen wollen?

Artikel

von Bennett Voyles
Fotos von Felix Schöppner

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Leistungskontrolle läuft nur über Kennzahlen, oder? Vielleicht braucht es ja doch mehr als Zahlenmanagement, um seine Performance zu verbessern.

Management auf Basis von Kennzahlen ist ein einfaches Konzept: Man setzt seine Strategie, findet eine passende Schlüsselkennzahl, setzt sein Team darauf an und schaut dann zu, wie die Performance stetig steigt. Kennzahlen sind im Management dermaßen verbreitet, dass Leute häufig Peter Drucker zitieren: "Wenn du es nicht messen kannst, kannst du es nicht managen." Die Idee hat jedoch mehr als einen Haken. Wohl auch deswegen hat Drucker diesen Satz nie wirklich gesagt.

A metal contraption to represent the solar system, billiard balls numbered 1 to 5 displayed vertically from bottom to top, chrome loops encircled around each one to show its position in the solar system, held in place on a metallic frame with vice screws.
Falscher Maßstab: Komplexe Dinge wie das Sonnen­system allein durch Zahlen zu beschreiben, kann zu vielen Unzulänglichkeiten führen.
"Ein Unternehmen mit vielen Facetten wird auf einige Kennziffern reduziert."

Eric Abrahamson

Management Professor
Columbia Business School

Natürlich können Kennzahlen helfen. "CEOs brauchen Marschlieder", sagt Eric Abrahamson, Managementprofessor an der Columbia Business School und Experte für Wirtschaftstrends. Eine neue Methodologie sei oft gut dazu geeignet, ein Unternehmen auf ein bestimmtes Thema zu fokussieren. Ein CEO könnte sagen: "Wir müssen mehr auf Qualität achten." Solche Initiativen müssen nicht schlecht sein, sagt Abrahamson – aber Kennzahlen hätten auch ihre Grenzen.

Die größte Einschränkung von Kennziffern bestehe darin, dass man sie als absolute Wahrheit betrachtet: "Eine Firma, die aus vielen unterschiedlichen Performance-Elementen besteht, wird auf ein paar Kennziffern reduziert", sagt Abrahamson. Dies könne wiederum den Aktienpreis beeinflussen. "Die Zahl soll etwas messen, aber tatsächlich formt sie das, was sie misst."

Diese verkürzte Sicht kritisiert auch Jerry Z. Muller. Der emeritierte Geschichtsprofessor an der Katholischen Universität von Amerika hat 2018 ein Buch über "die Tyrannei der Kennzahlen" veröffentlicht. Gern zitiert er den Soziologen Robert K. Merton: "Sehen ist immer auch Nichtsehen: Wenn man sich auf A konzentriert, verpasst man B."

Ein Beispiel dafür ist die Einführung von Six Sigma bei General Electric. In den 1990er-Jahren war CEO Jack Welch von dieser Methode zur Steigerung der Effizienz durch Fehlerreduzierung entzückt. Anfangs funktionierte es. Als Welch 2001 abtrat, hatte GE andere Giganten der 90er übertroffen. Doch im neuen Jahrtausend hießen die Konkurrenten Google und Apple. Six Sigma hat vermutlich auch andere Konzerne geblendet: Laut einer Studie von 2006 folgten 58 Konzerne in den Fußstapfen GEs. Doch nachdem sie Six Sigma übernommen hatten, hinkten 91 % von ihnen in der Aktienperformance dem S&P 500 hinterher.

91% einer Auswahl von 58 Konzernen, die Six Sigma einsetzten, blieben daraufhin im Aktien­index S&P 500 hinter dem Durchschnitt zurück.

Das Phänomen ist nicht auf Six Sigma beschränkt. Beliebte Kennziffern nutzten sich oft ab, sagt Abrahamson; und wenn man sich auf die gleichen Zahlen wie alle anderen konzentriere, sei es unwahrscheinlicher, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Muller wiederum denkt, dass Kennzahlen auch verwendet werden, um sich nicht entscheiden zu müssen. Als Elon Musk Twitter übernahm, wollte er die Programmierer, die im letzten Jahr die wenigsten Codezeilen geschrieben hatten, entlassen. "Dabei ließ er völlig außer Acht, dass es andere Facetten des Lernens und der zwischenmenschlichen Beziehungen gibt, die beruflich relevant sein können", sagt Muller.

Es passiert leicht, dass man sich so sehr auf eine bestimmte Quote fixiert, dass man das eigentliche Ziel aus den Augen verliert. Bei Wells Fargo zum Beispiel galt die die Anzahl der Konten, die ein Kunde besaß, als ein entscheidender Indikator für Kundenbindung. Also meldeten einige Mitarbeiter Kunden ohne deren Erlaubnis für neue Konten an – was Wells Fargo letztlich 3,7 Milliarden Dollar an Strafen und viel Glaubwürdigkeit kostete.

A metal stand similar to a lamp with a contraption clasped onto it in two places by vice screws, a large red apple hanging from the contraption on a thin red and white string and a metal spring at the bottom.
Klare Ansagen: Manager sollten das Ziel, zu dem ihre Kennziffern gehören, fest im Auge behalten. So entgehen sie der Versuchung, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

Bill Tayler, Professor für Rechnungswesen an der Marriott School of Business der Brigham Young University (BYU), spricht bei dieser Art von Zahlenanbetung von Surrogaten: eine menschliche Tendenz, sich auf Kennzahlen zu konzentrieren anstatt auf die Strategie, die sie stützen sollen. "Kaum hatten wir das Wort dafür gefunden, sah ich überall Surrogate", sagt Tayler. "Wenn mein Kind mit lauter Einsern nach Hause kommt, bin ich super erfreut. Dabei könnte es auch sein, dass ein Einser-Schüler Kurse belegt, die zu einfach für ihn sind."

Tayler zufolge hat seine Forschung auch gezeigt, dass Anreize diesen Effekt verstärken, aber Surrogate nicht nur darauf beruhen. Tatsächlich zeigte spätere Forschung, dass sich Menschen auch dann auf eine einmal erfasste Zahl konzentrieren, wenn keine Anreize mit ihr verbunden sind.

Richtig rechnen
Wie nutzt man Kennziffern ohne negative Nebeneffekte? Das sagen unsere Experten:

Bill Tayler:

Verfolgen Sie vier oder fünf Kennziffern gleichzeitig. Das hält Ihr Gehirn davon ab, sich zu sehr auf eine einzelne Ziffer zu konzentrieren.

Eric Abrahamson:

Wenn es wieder einmal einen Kennzahlen-Hype gibt, können Sie entweder auf jedem Trend mitreiten – oder Sie passen die Methodik an die Besonderheiten Ihres Unternehmens an, was weniger risikoreich ist.    

Jerry Z. Muller:

Sie können auch Ihre Kollegen einbeziehen und sie fragen, welche Messwerte fehlen: "Welche Sachverhalte erfassen oder bewerten unsere aktuellen Messungen noch nicht, über die wir aber mehr nachdenken sollten?"

Eric Abrahamson:

Suchen Sie nach Ziffern, die langsam, aber stetig eingeführt werden. Schnell eingeführte Ansätze neigen anfangs dazu, überbewertet zu sein, nur um bald darauf an Unterstützung zu verlieren, wenn sie sich als doch nicht ganz so großartig erweisen.

Gemeinsam mit Neurologen der BYU führte Taylers Team Hirn-Scans durch, um festzustellen, ob Surrogate nachweisbar sind. Die beobachtete elektrische Aktivität stützte Taylers Theorie: Der Teil des Gehirns, in dem Menschen sich auf Zahlen konzentrieren, unterscheidet sich von dem Bereich, in dem sie über Strategien nachdenken. Das erkläre auch, warum es so schwer ist, Leute von ihrer politischen Position abzubringen, selbst wenn man die Fakten auf seiner Seite hat. Wenn man sich von Surrogaten leiten lässt, benötigt das Gehirn weniger elektrische Aktivität. Es erfordert also weniger Energie, auf Zahlen zu achten, als darüber nachzudenken, wie man sie ändern könnte.

Trotz dieses Missbrauchspotenzials von Kennziffern ist Tayler nicht grundsätzlich dagegen, Management auf Basis von Zahlen zu betreiben. "Ich glaube fest daran, Zahlen zu verwenden", sagt Tayler. "Ein guter Buchhalter wird Ihnen nicht sagen, dass solche Messungen schlecht sind. Man sollte jedoch verstehen, wie Messungen zu Problemen führen können – zu vorhersehbaren, systematischen Problemen."

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Bennett Voyles
Bennet Voyles ist ein Wirtschaftsjournalist und lebt in Berlin. Im Laufe der vergangenen 20 Jahre hat er mehr als 1.000 Artikel über die unterschiedlichsten Themen geschrieben. Zudem ist er Autor des Reiseberichts Onward, Backward! -or- A Ramble to Santiago.
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