Paul Polman will das Wirtschaftssystem verändern

Think:Act Magazin “Nachhaltigkeit”
Paul Polman will das Wirtschaftssystem verändern

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München Office, Zentraleuropa
7. April 2021

Was Paul Polman mit der Unternehmer-Initative Imagine plant

Interview

von Janet Anderson
fotos von Ossi Piispanen

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Große Dinge schafft man nicht allein. Im Projekt "Imagine" bringt der frühere Unilever-CEO Paul Polman Unternehmer aus allen Branchen zusammen, damit sie eine nachhaltigere Weltwirtschaft gestalten.

Vieles läuft falsch. Das war Paul Polman lange vor Ausbruch der Coronakrise klar. Schon in seiner Zeit als CEO von Unilever zwischen 2009 und 2019 machte er deutlich: Unternehmen können nicht nur anders wirtschaften, sie müssen es tun. Polman nahm die Finanzkrise 2007 zum Anlass, den Konsumgüterkonzern so umzubauen, dass Wachstum nicht mehr automatisch eine Zunahme an Umweltschäden bedeutet. Das Unternehmen sollte einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten.

"Wir haben die Lösungen. Was noch fehlt, ist ein kollektives Bewusstsein."

Paul Polman

MITBEGRÜNDER, VORSITZENDER
Imagine

Diese Strategie erwies sich als so profitabel, dass viele Unternehmen Unilever nacheiferten. Aber einzelne Firmen können nur in einem sehr begrenzten Maße zu den grundlegenden Veränderungen beitragen, die unsere Gesellschaft braucht, meint Polman. Darum gründete er mit seinen Unternehmerkollegen Valerie Keller, Jeff Seabright und Kees Kruythoff "Imagine" – eine Initiative, die CEOs aus allen Branchen zusammenbringt, über Wertschöpfungsketten hinweg. Polman glaubt: Internationale Organisationen sind nur bedingt dafür geeignet, komplexe Herausforderungen zu bewältigen, die alle Menschen betreffen.

Die Coronakrise sei das beste Beispiel dafür. Stattdessen müssten Unternehmen die Aufgabe übernehmen, den Wandel zu nachhaltigeren und inklusiveren Geschäftsmodellen zu beschleunigen. Eine bessere Welt erschaffen – das sei die größte Geschäftsgelegenheit des Jahrhunderts, sagt Polman. Und das läge auch im Interesse der Firmen selbst: "Wenn Gesellschaften untergehen, überleben auch die Unternehmen nicht."

Paul Polman, Mitgründer und Vorstand der Unternehmer-Initiative Imagine, mit verschränkten Armen. (c) Ossi Piispanen
Grün zahlt sich aus: Als Chef von unilever gelang paul polman der Beweis, dass nach­haltiges Wirt­schaften hohe Renditen bringt.

Die Coronakrise hat das Bewusstsein für drängende ökologische und gesellschaftliche Probleme verschärft. Wie können Unternehmen zu deren Lösung beitragen?

Die Krise hat uns bewusst gemacht, dass es eine Verknüpfung zwischen Biodiversität, Klimawandel, Gesundheit, Ungleichheit und Wirtschaft gibt. Zum ersten Mal erkennen wir, dass wir es mit etwas zu tun haben, das viel komplexer ist als einzelne Themen. Und wir sehen, dass Unternehmen mit nachhaltig ausgelegten Stakeholder­Modellen, die umwelt­ und gesellschaftspolitische Prinzipien in ihren Zielen verankert haben, die Krise besser bewältigen.

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Warum ist es so wichtig, gerade jetzt zu handeln?

Einer der tragischen Aspekte der derzeitigen Krise ist, dass wir rund 400 Millionen Jobs zerstören. Das wird junge Menschen und Angehörige von Minderheiten viel stärker betreffen als wohlhabende und gesunde Menschen. Wenn wir fehlenden Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und weiteren Populismus und Nationalismus verhindern wollen, müssen wir sichere Arbeitsplätze schaffen. Eine Studie nach der anderen beweist: Investitionen in die Elektrifizierung von Verkehr, nachhaltiges Umrüsten von Häusern, Renaturierung, Stadtbegrünung und mehr Geld für Bildung sowie Forschung und Entwicklung bringen nicht nur die höchsten Renditen, sondern kreieren auch neue Jobs. Darum ist es sinnvoll, Geld in diesen grünen Wandel zu investieren. Aber das können Regierungen nicht allein schaffen. Unternehmen, die dies verstehen, werden dadurch nicht nur resistenter gegen Krisen, sondern legen damit das Fundament für eine profitable Zukunft.

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Imagine will Unternehmen dabei unterstützen. Wie funktioniert das?

Paul Polman

Der ehemalige CEO des Unilever-Konzerns ist Mitgründer und Vorsitzender von Imagine, einer Initiative, die Unternehmer zu den Themen Klimawandel und globale Ungleichheit vernetzt. Polman ist zudem Ehrenvorsitzender der Internationalen Handelskammer, saß im Gremium für Nachhaltigkeit des UNO-Generalsekretärs und ist stellvertretender Vorsitzender von Global Compact, einem Nachhaltigkeitspakt von UNO und Unternehmern.

Es gibt nur sehr wenige CEOs, denen egal ist, ob sich der Klimawandel beschleunigt, die Luft verschmutzt wird und Menschen massenhaft Jobs verlieren oder hungern müssen. Im Großen und Ganzen bewegen wir uns also in die richtige Richtung. Was mir fehlt, sind Tempo und Reichweite. In meiner Zeit als CEO erhielt Unilever viel Zuspruch dafür, dass wir unser Geschäftsmodell hin zu mehr Nachhaltigkeit und Inklusion umbauten. Aber einzelne Unternehmen sind damit überfordert, das gesamte System umzubauen. Was kann ein einzelner CEO tun, damit die Plastikinseln im Ozean verschwinden oder eine regenerative Landwirtschaft entsteht? Wie kann der Chef einer Bekleidungskette dafür sorgen, dass nur noch Biobaumwolle angebaut wird? Wie soll ein Airlinechef im Alleingang alternative Treibstoffe einführen? Man macht CEOs für die negativen Auswirkungen ihrer Unternehmen verantwortlich. Aber oft haben sie gar nicht die Möglichkeiten, bessere Lösungen auszuprobieren. Darum habe ich Imagine gegründet.

Die Idee ist sehr simpel: Wir bringen CEOs aus allen Branchen zusammen. Sobald sie gemeinsam 25 % der Wertschöpfungskette abdecken, haben wir die kritische Masse beieinander, mit der wir einen Richtungswechsel einleiten können. Ab diesem Punkt können wir mit Regierungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeiten.

290% Wertsteigerung erzielten Aktionäre von Unilever während der Amtszeit von Polman als CEO zwischen 2009 und 2019.

Und die CEOs, die bei Imagine aufeinandertreffen, empfinden sich nicht als Konkurrenten?

Ich weiß, dass CEOs sich an Vorgaben halten müssen, aber ich weiß auch, dass sie enorme Möglichkeiten haben. Meine Erfahrung ist: Wenn man CEOs zusammenbringt, werden sie mutiger. Sie begreifen, dass es bei der Rettung der Menschheit nicht darum geht, einen Wettbewerb zu gewinnen. Wir sorgen für Transparenz und helfen ihnen, sich auf die wichtigen Punkte zu fokussieren. Manchmal erschaffen wir auch Branchenstandards, beispielsweise durch Definitionen für "CO₂-positive Landwirtschaft", "menschenwürdiges Auskommen" oder "Wiederaufforstung".

Es ist schwer für CEOs, Rahmenbedingungen zu ändern, dabei haben viele davon furchtbare Konsequenzen. Beispielsweise werden fossile Energieträger noch immer jedes Jahr mit 500 Milliarden US-Dollar subventioniert. Darum arbeiten wir mit Regierungen zusammen: um Rahmenbedingungen zu schaffen, die anderes Verhalten fördern.

Viele Unternehmen kämpfen wegen der Corona­krise ums Überleben. Was sagen Sie denen?

Schätzungen zufolge könnten 20-30 % der kleinen und mittelständischen Unternehmen untergehen. Die großen Unternehmen, mit denen wir arbeiten, begreifen zunehmend, dass sie handeln müssen, um zu verhindern, dass dies Konsequenzen für ihre eigenen Wertschöpfungsketten hat und ihre wirtschaftliche Erholung erschwert. Einige erkennen sogar, dass sich aus dem Wandel zu mehr Nachhaltigkeit enorme Möglichkeiten ergeben. Die Interessen und Ansprüche von Konsumenten haben sich in den vergangenen Jahren verändert.

Auch viele Mitarbeiter wünschen sich eine grünere Zukunft. Natürlich ist ein gesunder Cashflow die oberste Priorität für jedes Unternehmen, aber die meisten Unternehmen verstehen nun, dass der beste Weg dorthin ist, grüner zu werden. Wir sollten die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN als Chancen begreifen. Die Kosten für Umweltschäden sind schon heute höher als das, was es uns kosten würde, gemeinschaftlich diese Ziele anzugehen. Unternehmen, die diesen Gedanken in ihre Handlungen integrieren, können sich nicht nur über engagiertere Mitarbeiter freuen und stabilere Beziehungen zu den Partnern in ihrer Wertschöpfungskette aufbauen, sondern werden auf Dauer auch wirtschaftlich profitieren.

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Warum sollte Firmen etwas gelingen, woran internationale Organisationen gescheitert sind?

Die meisten internationalen Organisationen, die sich mit globalen Themen auseinandersetzen, sind vor mehr als 70 Jahren gegründet worden. Die Welt hat sich seitdem verändert, aber die Institutionen haben sich dem nicht angepasst. Darum haben wir derzeit keine geeigneten globalen Instrumente. In der aktuellen Krise lässt sich das sehr gut beobachten. Viele Staaten schützen sich mit protektionistischen Maßnahmen. Aber wir können globale Probleme nur lösen, wenn wir zusammenarbeiten. 90 % der Weltbevölkerung möchten nicht, dass alles so weiterläuft wie bisher, 80 % erwarten, dass Unternehmen bei der Lösung der Probleme eine größere Rolle übernehmen. Dafür braucht es Zusammenarbeit. Und Unternehmen, die in unterschiedlichsten Regionen der Welt aktiv sind, reagieren nicht nur auf Symptome, sondern bringen langfristige Perspektiven mit ein.

Hilft Wettbewerb dabei, diese Probleme zu lösen?

Wettbewerb fördert Kreativität und übt einen gewissen Druck aus – das brauchen wir mehr als je zuvor. Unternehmen stehen nicht nur für Ressourcen und Geld, sondern auch für Innovationen, wie CO₂-Speicherung, steigende Batterieleistungen, Wasserstoffquellen, alternative Treibstoffe. Wir brauchen Wettbewerb in diesen Feldern, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Und wir müssen herausfinden, wo wir Grenzen ziehen: Was kann man allein schaffen? Wo braucht man Partnerschaften, um diese Transformationen zu bewältigen?

Woher nehmen Sie den Optimismus, dass wir die Herausforderungen bewältigen können?

Bei der Finanzkrise 2007/2008 haben wir eine Chance vertan. Damals wurden die meisten Hilfsgelder dafür verwendet, die Banken zu stärken. Nur 2,5 % flossen in Maßnahmen, die Nachhaltigkeit förderten, aber diesmal sind 30 % der Gelder aus den Rettungsschirmen dafür vorgesehen. Das sind Signale, die Mut machen. Wir wissen, was wir zu tun haben. Wir haben sogar die Lösungen. Was noch fehlt, ist ein kollektives Bewusstsein. Werden wir den Mut haben, unbequeme Entscheidungen zu treffen und uns deutlich langfristigere Ziele zu setzen? Darauf kommt es an.

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