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Ein Gespräch mit Thomas Schäfer über  den Wandel der Volkswagen-Marke

Ein Gespräch mit Thomas Schäfer über den Wandel der Volkswagen-Marke

8. September 2025

„Mit der richtigen Produktsubstanz werden wir unsere Führung in Europa behaupten und gleichzeitig erschwingliche E-Mobilität für alle ermöglichen.“

In unserem Gespräch mit Thomas Schäfer, CEO der Marke Volkswagen, geht es um den Weg zu erschwinglicher E-Mobilität und die strategische Neuausrichtung der Marke. Im Fokus stehen neue Modelle, technologische Innovationen und der Mut zu tiefgreifenden Veränderungen – mit dem Ziel, Europas Wettbewerbsfähigkeit im Automobilsektor langfristig zu sichern.

Portrait of Thomas Schäfer

Der Volkswagen Konzern ist einer der weltweit führenden Automobilhersteller mit Hauptsitz in Wolfsburg, Deutschland. Seine Aktivitäten umfassen die gesamte Wertschöpfungskette der Automobilindustrie, von mehreren Pkw-, Motorrad- und Nutzfahrzeugmarken (darunter Audi, Škoda, Porsche, Bentley, Lamborghini, Jetta, Seat, Ducati und schwere Nutzfahrzeuge über Traton) bis hin zu Finanzdienstleistungen und digitalen Mobilitätslösungen. Der Konzern verfügt über eine globale Produktionspräsenz mit 115 Produktionsstätten in 27 Ländern und liefert Fahrzeuge sowie Innovationen für verschiedene Märkte. Zum 31. Dezember 2024 beschäftigt Volkswagen weltweit rund 680.000 Mitarbeitende.

Thomas Schäfer ist Mitglied des Vorstands der Volkswagen Group und CEO der Marke Volkswagen. Der Diplom-Ingenieur, Jahrgang 1970, begann seine Laufbahn bei der Daimler AG. Dort bekleidete Schäfer leitende Positionen in verschiedenen Bereichen im In- und Ausland. Im Jahr 2012 wechselte der Topmanager zur Volkswagen AG. Nach Stationen in Deutschland, Südafrika und Tschechien startete er im Sommer 2022 in der Funktion des Chief Executive Officer der Marke Volkswagen.

Norbert Dressler: Herr Schäfer, Sie haben das Ziel ausgegeben, VW bis 2030 weltweit zur technologisch führenden Volumenmarke zu machen, und einen Drei-Phasen-Plan aufgestellt. Was macht Sie so sicher, dass dieser Plan aufgeht?

Thomas Schäfer: Bei uns im Team sprechen wir immer von „aufholen“, „angreifen“ und „anführen“. Aktuell sind wir schon mitten in der Aufholphase: Wir haben den größten Zukunftsplan in der Geschichte von Volkswagen beschlossen und setzen ihn mit aller Kraft um. Im Prinzip geht’s um drei Dinge. Erstens: richtig gute Autos bauen, die unsere Kunden in Sachen Qualität, Design, Technologie und Preis überzeugen. Zweitens: das Unternehmen langfristig finanziell robust aufstellen. Robust bedeutet, mit dem Verkauf unserer Autos so viel Geld zu verdienen, dass wir unsere Zukunftsinvestitionen eigenständig finanzieren können. Und drittens: zeigen, dass wir in Deutschland wettbewerbsfähige Autos bauen können. Ich bin davon überzeugt, dass dieser Plan aufgeht, weil wir bislang schon sehr gute Fortschritte gemacht haben: Unsere neuen Autos gewinnen Awards und Vergleichstests, wir führen vielerorts die Verkaufsstatistiken an und konnten auch die Fabrikkosten an unseren deutschen Standorten bereits um einen wesentlichen Teil senken. Wir haben noch viel Arbeit vor uns, aber wir sind auf dem richtigen Weg.

Norbert Dressler: Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um die Marke VW in Europa wieder auf Wachstumskurs zu bringen?

Thomas Schäfer: Wir haben viel vor! Bis 2027 bringen wir in Europa neun neue Modelle auf den Markt. Mit einem meiner Lieblingsprojekte schalten wir ab nächstem Jahr voll in den „Attack Mode“: Dann bringen wir die Serienversion unseres vollelektrischen ID.2all mit Einstiegspreisen um 25.000 Euro. Ein echter VW, der wieder wie ein echter VW aussieht und sich wie ein echter VW anfühlt. Es folgen auch eine sportliche GTI-Version und ein richtig schicker kompakter SUV – einen ersten konkreten Ausblick darauf geben wir im September auf der IAA . 2027 kommt dann die Serienversion des ID. EVERY1 für um die 20.000 Euro. Damit nehmen wir klaren Kurs auf erschwingliche E-Mobilität für alle. Ich bin mir sicher: Mit der richtigen Produktsubstanz werden wir unsere Führung in Europa behaupten und weiter wachsen. Nächstes Jahr feiern wir außerdem 50 Jahre GTI – eine Submarke, die für Volkswagen unheimlich wichtig ist und die wir natürlich auch in die Zukunft führen werden.

Norbert Dressler: In Deutschland konsolidiert VW Werke, Mitarbeitende fürchten Jobverluste. Gleichzeitig investieren Sie Milliarden in China und Software. Wie erklären Sie das den Arbeitnehmern hierzulande?

Thomas Schäfer: Veränderungen wie die, die wir aktuell vornehmen, bringen verständlicherweise Unsicherheiten mit sich. Das nehmen wir sehr ernst. Gleichzeitig gilt: Wir handeln aus Verantwortung für die Zukunft des Unternehmens. Über 20.000 Kolleginnen und Kollegen haben sich bereits für freiwillige Programme wie Altersteilzeit oder Aufhebungsverträge entschieden – sozialverträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen. Unsere Investitionen sind keine Abkehr vom Standort Deutschland, sondern eine notwendige Grundlage, um unsere technologische Führungsrolle zu sichern. Nur wenn wir heute effizienter werden, können wir morgen zukunftsfähige Produkte und Arbeitsplätze schaffen. Deutschland bleibt dabei ein zentrales Kompetenzzentrum: Die Entwicklung unserer neuen Softwareplattform SSP findet hier statt. Wir bauen also nicht ab, sondern um. Und dabei ist uns wichtig, dass wir diesen Weg gemeinsam mit der Belegschaft und in enger Abstimmung mit der Arbeitnehmervertretung gehen.

Norbert Dressler: Viele Lieferanten verzeichnen niedrige Margen bei hoher Unterauslastung. Wie stellt sich VW auf die strukturell notwendige Konsolidierung seiner Zulieferer ein?

Thomas Schäfer: Die Automobilbranche verändert sich rasant – Elektromobilität, Digitalisierung und neue Produktionsmodelle stellen viele Zulieferer vor große Aufgaben. Gleichzeitig entstehen dadurch auch neue Chancen. Wir bei Volkswagen setzen klar auf Europa – als Produktionsstandort und als Herzstück unseres Lieferantennetzwerks. Natürlich sehen wir, dass es bei manchen Partnern strukturellen Anpassungsbedarf gibt. Deshalb setzen wir auf langfristige Planung, transparente Kommunikation und gemeinsame Lösungen, um unsere Lieferketten und unser Netzwerk zukunftsfest aufzustellen.

Norbert Dressler: Die Fahrzeuge, die Sie 2025 auf der Messe in Shanghai zeigten, kamen gut an. Hierzulande ist oft zu hören, sie sähen gar nicht mehr nach VW aus. Erfindet sich VW in China gerade neu?

Thomas Schäfer: Die Auto Shanghai war für uns in diesem Jahr ein riesiger Erfolg. Wir waren die sichtbarste Marke der gesamten Messe und haben der Welt gezeigt, dass wir für unseren größten und wichtigsten Markt einen fundierten Plan haben. Das Design der Showcars wurde vor Ort von den lokalen Teams entwickelt und eng von unserem Designchef begleitet. Sie haben unsere globalen Designwerte „stable“, „likeable“ und „exciting“ auf individuelle Weise interpretiert und an die regionalen Bedürfnisse angepasst. In China sind wir vergleichsweise progressiver und avantgardistischer unterwegs, weil unsere dortigen Kunden das von uns erwarten. Im Kern bleiben wir aber konsistent und unserer neu aufgelegten globalen Designsprache treu. Das wird man zum Beispiel bei dem kompakten SUV, den wir auf der IAA präsentieren werden, auch besonders gut sehen können. Das wird ein Hammer-Auto!

Norbert Dressler: Lokalisierung ist derzeit eines der Schlagworte, die immer wieder zu hören sind. Ist das Weltauto Geschichte?

Thomas Schäfer: Ich würde nicht sagen, dass das Weltauto Geschichte ist, aber es geht heutzutage darum, die richtige Balance zu finden: Wir haben bei VW den Vorteil, dass wir in der Regel dort entwickeln und produzieren, wo wir auch Fahrzeuge verkaufen, beispielsweise in China, den USA oder Südamerika. Dort sind wir mit bis zu 95 Prozent lokalisiert. Das macht uns nicht nur resilienter, sondern wir sind dadurch auch viel näher an unseren Kundinnen und Kunden und deren Bedürfnissen. Gleichzeitig profitieren wir durch unsere Größe als Volumenhersteller von Skaleneffekten, die es uns ermöglichen, Premium-Technologien in erschwinglichere Klassen zu bringen – dort, wo man sie eigentlich nicht erwartet: ChatGPT, Parken mit dem Smartphone, unser Headup-Display oder das Fahrwerkssystem DCC zum Beispiel. Unsere künftige Scalable Systems Platform, auf der auch der neue elektrische Golf basiert, wird da noch viel größere Möglichkeiten bieten.

Norbert Dressler: Alle Augen sind auf China gerichtet. Aber welche Bedeutung hat der asiatische Markt außerhalb Chinas für VW, beispielsweise Japan, Südkorea oder Indien?

Thomas Schäfer: Asien ist weit mehr als nur China: Vor ein paar Monaten haben wir unter anderem eine Expansion nach Usbekistan besiegelt – das Marktpotenzial dort ist sehr vielversprechend. Künftig werden wir vor Ort gemeinsam mit unserem lokalen Partner verschiedene SUV- und Limousinen-Modelle aus China im SKD-Verfahren fertigen. Und auch Märkte wie Japan, Südkorea und Indien gewinnen für uns an Bedeutung. Vor Kurzem haben wir in Südkorea den neuen Golf und den Atlas eingeführt sowie in Japan unsere Modellpalette um die Modelle Golf, Tiguan und Passat erweitert. Sie kommen sehr gut an und zeigen, dass wir im Importmarkt unsere Position stärken können. Indien ist ein tolles Beispiel, wie ein Markt die lokalen Bedürfnisse durch lokal gefertigte und zugeschnittene Produkte bedienen kann. Der Virtus ist wiederholt das meistverkaufte Fahrzeug im Limousinen-Segment. Wir nehmen unseren Anspruch als Weltmarke also sehr ernst und stellen uns strategisch breit auf.

Norbert Dressler: Zum Abschluss: Welche Initiativen durch die europäischen Gesetzgeber sind notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie sicherzustellen?

Thomas Schäfer: Wenn die Transformation zur Elektromobilität wirklich klappen soll, brauchen wir einen echten Schulterschluss mit der Politik. Es muss gelingen, die Transformation zur Klimaneutralität mit einer massiven Förderung unserer Wettbewerbsfähigkeit zu verknüpfen. Der Automobilindustrie kommt hierbei eine Schlüsselfunktion zu. Am Ende muss die Politik beantworten, ob wir zum Beispiel eine Fertigung von Batteriezellen durch europäische Hersteller erreichen wollen. Dafür müsste die laufende Produktion und ihr Hochlauf gefördert werden, was in den USA oder Kanada längst passiert. Für den Umstieg auf Elektromobilität, den die Politik mit der CO2-Gesetzgebung selbst ausgelöst hat, benötigen wir Kaufanreize auf europäischer Ebene. Eine gute Idee wären Angebote des Social Leasing, sodass wirklich alle sich den Umstieg auf klimaneutrales Fahren leisten können. Die Präsidentin der EU-Kommission hat einen „Strategischen Dialog“ mit der europäischen Automobilindustrie begonnen, die Kommission hat den „Automotive Action Plan“ vorgelegt. Das waren im ersten Halbjahr zwei wichtige Entscheidungen. Sie machen deutlich: Die Politik hat verstanden, dass die Automobilindustrie die Leitindustrie schlechthin ist. Aber: Wir brauchen eine Perspektive! Und das gilt für alle europäischen Autohersteller mit ihren Standorten in der EU. Wir sollten alles unternehmen, um in einem völlig veränderten globalen Umfeld wettbewerbsfähig zu bleiben. Das geht nur gemeinsam.

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Felix Mogge
Senior Partner, Supervisory Board Vice Chairman
München Office, Zentraleuropa
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