Jennifer Doudna: Krebs bekämpfen mit CRISPR

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Jennifer Doudna: Krebs bekämpfen mit CRISPR

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München Office, Zentraleuropa
6. Dezember 2021

Biochemikerin und Nobelpreisträgerin Jennifer Doudna darüber, wie die CRISPR-Technologie den Krebs besiegen könnte

Interview

von Fred Schulenburg
Fotos von Winni Wintermeyer

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Jennifer Doudna hat erforscht, wie menschliche DNA umgeschrieben werden kann. Das könnte unzähligen Krebspatienten das Leben retten. Das Nobelpreis-Komitee hielt ihre Arbeit an der CRISPR-Technologie für auszeichnungswürdig, andere für ethisch fragwürdig.

Ein Traum wird wahr. Oder ist es ein Alptraum? Die Fähigkeit, menschliche Gene zu verändern, weckt riesige Hoffnungen. Aber auch Ängste und Befürchtungen. CRISPR – die Technologie, die diese "Gen-Editierung" oder "Genchirurgie" ermöglicht, ist das Forschungsobjekt der amerikanischen Biochemikerin Jennifer Doudna und ihrer französischen Kollegin Emmanuelle Charpentier, einer Mikrobiologin.

Ihre Arbeit ist ein wissenschaftlicher Meilenstein, der umwälzende Folgen für Medizin, Biomedizin und Landwirtschaft haben könnte. Zahlreiche Firmen loten derzeit aus, wie sich die enormen Chancen, die CRISPR bietet, kommerziell verwerten lassen. Die revolutionäre Technologie drängt in einer Zeit auf den Markt, in dem die Pandemie Wissenschaft und Wissenschaftler stark in den Fokus rückt. Think:Act sprach mit Doudna über eine Technologie, die unser aller Leben möglicherweise mehr verändern wird als jede andere.

Foto der Nobelpreisträgerin Jennifer Doudna, die auf einem Sofa sitzt. Ihre Beine sind gekreuzt, ihre Hände liegen auf ihren Knien. (c) Winni Wintermeyer 2020/Redux/laif

Wann hörten Sie das erste Mal von der CRISPR-Technologie?

2006 kontaktierte mich Jillian Banfield, wie ich Professorin an der UC Berkeley. Bei einem Kaffee erzählte sie mir von den auffälligen Wiederholungen namens CRISPR, die sie in mikrobiellen Genomen entdeckt hatte. Sie ahnte, dass dies eine Art Immunsystem gegen Viren sein könnte, und ich suchte zu der Zeit ohnehin nach Forschungsprojekten für unser Laboratorium. Anfangs war es reine Neugier. Aber als ich Jahre später mit Emmanuelle Charpentier zusammen herausfand, dass wir CRISPR nutzen könnten, um DNA an bestimmten Stellen durchzuschneiden, war uns klar: Wir hatten einen großen Sprung gemacht: von Grundlagenforschung zu etwas, das die Welt verändern könnte. Ich war überwältigt. Ich empfand pure Freude. Ich erinnere mich noch daran, dass ich beim Zubereiten des Abendessens plötzlich zu lachen begann und mein Sohn mich fragte: "Mama, warum lachst du?"

Jennifer Doudna

war von Wissenschaft fasziniert, seit ihr Vater ihr das Buch "Die Doppelhelix" schenkte. Sie studierte Biochemie und leistete Pionierarbeit bei der Entwicklung der CRISPR-Technologie, mit der sich Gene "editieren" lassen. 2020 erhielt Doudna dafür den Nobelpreis in Chemie. Sie ist Professorin an der University of California in Berkeley und war 2014 Mitgründerin des Innovative Genomics Institute, das die Öffentlichkeit über Gen-Technologien aufklären will und Richtlinien für einen ethischen Umgang mit CRISPR entwickelt.

Wie funktionieren CRISPR?

Ich bezeichne sie gern als Genscheren. Wissenschaftler können sie darauf programmieren, in der DNA jedes beliebigen Organismus eine bestimmte Stelle zu entdecken, diese durchzuschneiden und durch ein sogenanntes Template zu ersetzen. So können sie Mutationen im genetischen Code reparieren und Gene an- und ausschalten. Mit diesem Werkzeug können wir potenziell Tausende genetisch bedingter Krankheiten behandeln. Etwa die Sichelzellanämie, die durch die Mutation eines einzelnen Buchstabens in einem einzigen Gen verursacht wird. Bisher gibt es keine effiziente Behandlungsmethode, obwohl wir die Ursachen seit Jahren kennen.

Es gibt auch große Bedenken gegen CRISPR. Können Sie diese nachvollziehen?

Es ist richtig, dass Menschen vorsichtig mit einer neuen, wirkungsstarken Technologie umgehen. Aber CRISPR unterscheidet sich nicht fundamental von anderen Technologien. Um einige Bedenken müssen wir uns jetzt kümmern, andere werden erst in Jahren relevant und noch einmal andere gehören in den Bereich Science-Fiction. Eine Sorge ist, dass von neuen Technologien oft nur eine Handvoll gut situierter Menschen profitieren. Es ist deshalb sehr wichtig, bereits heute sicherzustellen, dass die Vorteile der Genom-Editierung allen Menschen zur Verfügung stehen, die sie benötigen.

"Uns wurde klar, dass wir einen großen Sprung gemacht hatten: von der Grundlagenforschung zu etwas, das die Welt verändern könnte.“"

Jennifer Doudna

BIOCHEMIKERIN

Wo sehen Sie konkrete Anwendungsgebiete von CRISPR?

Die gibt es schon. Wir können viel leichter präzise bestimmen, was bestimmte Gene bewirken und wie unterschiedliche Mutationen ihre Funktion beeinflussen. Erst kürzlich hat eine Studie CRISPR genutzt, um herauszufinden, wodurch Romanesco seine so typische fraktale Form hat.

Oder nehmen Sie den medizinischen Sektor: Es sieht so aus, als ob wir auf gutem Wege sind, die Sichelzellanämie heilen zu können. Zahlreiche Probanden, die an einer CRISPR-basierten klinischen Studie teilgenommen haben, sind symptomfrei. In dem Studienaufbau wurden CRISPR eingesetzt, um rote Blutkörperchen zu reaktivieren, die nicht von der krankheitsverursachenden Mutation befallen sind. Andere Wissenschaftler, darunter auch solche des Innovative Genomics Institute, versuchen mithilfe von CRISPR direkt die Mutation zu reparieren. Jeder Schritt in diese Richtung ist aufregend. Und ich bin zuversichtlich, dass am Ende dabei eine Behandlungsmethode herauskommt, die für jeden, der sie braucht, zugänglich und bezahlbar ist.

CRISPR kurz erklärt

Was es mit der Technologie auf sich hat, die in den kommenden Jahren bedeutende Durchbrüche in Medizin und Landwirtschaft erzielen soll.

Das Nobelpreis-Komitee für Chemie sagte, die Technologie habe die "Grundlagenwissenschaft revolutioniert" und werde bahnbrechnende medizinische Behandlungsmethoden und neue Pflanzen hervorbringen.
Seit Hunderten von Millionen Jahren bekämpfen Bakterien Viren durch ein System von Genen, die gespeichert haben, an welchen Teilen sie eindringende DNA erkennen, sodass sie diese leicht anvisieren und abschneiden können. Dieser Teil des bakteriellen Immunsystems heißt auf Englisch "Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats" – oder kurz: CRISPR.

Welches Potenzial in diesen "Genscheren" steckt, wurde jedoch erst jüngst von Wissenschaftlern wie Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier erkannt, die CRISPR in einem weiteren Umfeld einsetzen wollen – als schlagkräftiges Werkzeug, das in jedem lebenden Organismus platziert werden könnte. 2012 veröffentlichten sie ihre Ergebnisse in der Zeitschrift Science, 2019 wurden die ersten Patienten in klinischen Studien mit CRISPR-basierten Technologien behandelt.

Durch CRISPR hat für die Biowissenschaft eine neue Epoche begonnen, die Doudnas Biograf Walter Isaacson als dritte große Revolution unserer Zeit ansieht – nach den Durchbrüchen in der Atomphysik und der Informationstechnik.
Die Technologie vereint in sich die Aussicht auf die Bekämpfung von Krankheiten, Verbesserung von Ernteerträgen und Gegenmitteln für kommende Pandemien. Auch beim Kampf gegen Covid-19 wurden CRISPR bereits genutzt.

Aber die Leichtigkeit, mit der sich durch CRISPR menschliche Zellen manipulieren lassen, weckt auch Befürchtungen. Als 2018 der chinesische Wissenschaftler He Jiankui erklärte, er habe gen-editierte Zwillingsbabys erschaffen, löste das weltweit Empörung und Rufe nach Regulierung aus. Der US-Geheimdienstkoordinator setzte CRISPR sogar auf die Liste der potenziellen Massenvernichtungswaffen.

Was empfanden Sie, als der chinesische Wissenschaftler He Jeankui 2018 erklärte, er habe das Erbgut von Zwillingsbabys mit CRISPR genetisch manipuliert?

Ich war schockiert und abgestoßen.

Der Fall löste eine Ethik-Debatte aus und warf die Frage auf, wie die Technologie reguliert werden kann. Halten Sie das überhaupt für möglich?

Es gibt keine One-fits-all-Lösung, mit der sich der Einsatz von Genom-Editierung regulieren lässt. Aber ich bin optimistisch, dass in internationaler Zusammenarbeit staatliche Richtlinien entstehen, die dann weltweit angewendet werden. Der Schlüssel ist, dass wir klare Schutzwälle einziehen, aber dabei Innovationen nicht behindern.

CRISPR in Zahlen
Markt

4,2 Mrd. USD: Geschätzter globaler Umsatz für Gen-Editierung mit CRISPR im Jahr 2024.

Öffentliche Meinung

12% der Befragten in einer Umfrage im Jahr 2020 hielten CRISPR für die einschneidendste Technologie im Gesundheitswesen.

Medizinische Auswirkungen

80%: Um diesen Prozentsatz erhöhte sich in einer Studie die Überlebenschance von krebsinfizierten Mäusen durch Gen-Editierung.
Quelle: Statista, Harvard

"Man sagte mir, dass Frauen nicht in die Wissenschaft gehen und ich einen anderen Berufsweg einschlagen sollte. Ich habe nicht darauf gehört."

Jennifer Doudna

Biochemikerin

Die Corona-Pandemie hat Wissenschaft in den öffentlichen Fokus gerückt, bisweilen mit unschönen Konsequenzen. Wenn wir uns nicht einmal beim Mundschutz einig sind: Wie groß ist Ihre Zuversicht, dass wir eine vernünftige Debatte über CRISPR führen können?

Die Pandemie war eine Tragödie für die Welt, aber sie führte zu den größten Sternstunden der Wissenschaft, die ich jemals erlebt habe. Wir haben einen hocheffektiven mRNA-Impfstoff entwickelt, Lücken in der Diagnostik gefüllt und neue Methoden für Tests in gigantischen Maßstäben hervorgebracht. Das Innovative Genomics Institute haben wir in ein Diagnose- und Testzentrum für die UC Berkeley und die Umgebung umfunktioniert und Dutzende agile Forschungsprojekte unterstützt.

Die Falschinformationen wuchern und das Vertrauen in Fachleute ist auf einem Tiefpunkt angelangt, aber die Wissenschaft hat sich der Aufgabe gestellt und sie erfüllt. Wir werden Debatten über CRISPR führen und sie werden möglicherweise nicht rational verlaufen, aber als Wissenschaftler müssen wir unsere Arbeit transparent machen und weiterhin Resultate abliefern.

Wissenschaft ist immer noch ein sehr männlich dominiertes Feld. Haben Sie in Ihrer Karriere Benachteiligung erlebt oder beobachtet, weil Sie eine Frau sind?

An der High School sagte man mir, dass Frauen nicht in die Wissenschaft gehen und ich lieber einen anderen Berufsweg einschlagen sollte. Ich habe nicht darauf gehört. Es ist immer noch ein Thema, aber vieles hat sich verbessert. So wie ich es erlebt habe, führt das Arbeiten in diversen Gruppen mit unterschiedlichen Perspektiven und Lebenserfahrungen zu frischem Denken und damit zu besserer Wissenschaft.

ÜBER DEN AUTOR
Fred Schulenburg
Fred Schulenburg arbeitet für die Financial Times. Dort hat er bereits verschiedene Positionen bekleidet, unter anderem als Berlin-Korrespondent und als Literaturredakteur. Er war eines der Gründungsmitglieder der Financial Times Deutschland, wo er die Weekend-Beilage betreute.
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