Unternehmen langfristig ausrichten

Think:Act Magazine Das ergibt Sinn
Unternehmen langfristig ausrichten

4. Juli 2018

Der einflussreiche Autor Jim Collins über das, was es braucht, um ein Unternehmen zu einer legendären Marke zu machen

Interview

by Bennett Voyles

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"The purpose principle – missions give businesses strength"

Wie baut man ein Unternehmen auf, das die Zeiten überdauert? Der Autor, Forscher und Berater Jim Collins hat eine klare Antwort: Großes schafft, wer sich selbst fragt: Was habe ich zu bieten?

Ein sinnvolles Ziel zu verfolgen ist für viele Unternehmen eine relativ neue Vorstellung. Nicht so für Jim Collins. Für den Autor einflussreicher Wirtschaftsbücher wie des bahnbrechenden Built to Last: Successful Habits of Visionary Companies und Good to Great: Why Some Companies Make the Leap…and Others Don't teilen langlebige Unternehmen die Eigenschaft, dass sie mehr wollen, als nur ihre Aktionäre zufriedenzustellen. Mit Think:Act sprach er darüber, wie sich sein Blick auf Werte und Sinnhaftigkeit weiterentwickelt – und was diese Begriffe überhaupt bedeuten.

Klettern zeigt, wie wir durch Beharrlichkeit und Scheitern erkennen, worauf es wirklich ankommt, sagt Jim Collins (hier mit dem US-Profikletterer Tommy Caldwell).
Klettern zeigt, wie wir durch Beharrlichkeit und Scheitern erkennen, worauf es wirklich ankommt, sagt Jim Collins (hier mit dem US-Profikletterer Tommy Caldwell).

Wie wichtig sind Werte und Sinn, wenn man ein herausragendes Unternehmen aufbauen will?
Eine der entscheidenden Eigenschaften langlebiger Unternehmen ist, dass ihre Gründer Ziele verfolgen, die größer sind als sie selbst. Meist zeigen sich diese Ziele schon früh. Steve Jobs artikulierte bereits in den 70er Jahren diese Idee: "Worum es wirklich geht, ist: Fahrräder für den Verstand zu bauen. Unser Ziel ist es, über die Welt nachzudenken und zu sagen: 'Was wird diese Welt mehr verändern: einen Computer tausendmal größer zu machen oder einen kleineren Computer zu bauen und ihn in die Hände von tausend kreativen Menschen zu legen?"
Solche Ziele überdauern. Als Jobs 1997 zu Apple zurückkehrte, suchte er als Erstes nach verbliebenen Mitarbeitern, die dieses Ideal teilten. Es war noch immer da, tief in der DNA des Unternehmens.

Was tut man, wenn das Unternehmen nie ein klares Ziel hatte?
Das ist wesentlich schwieriger. In diesem Fall muss man sich fragen: "Was macht diese Arbeit für die Welt wichtig?" Dann beginnt man rückwärts zu arbeiten: "Warum ist es wichtig, dass wir Halbleiter herstellen?" Wenn Sie tatsächlich etwas Sinnvolles tun, werden Sie diesen Sinn entdecken. Aber er ist sehr viel schwerer zu finden, wenn man ihn nicht von Anfang an in die Textur des Unternehmens hineingewoben hat. Ziele sehen nicht immer gleich aus, sie variieren. Sehen Sie sich die Beispiele an, die ich in Built to Last aufführe: Nike, Disney, 3M, Patagonia oder Pacific Theaters. Einige sind sehr wettbewerbsgetrieben, einige sehr kreativ, einige sind wirklich um den sozialen Wandel herum aufgebaut und bei einigen geht es darum, den Menschen zu dienen, die für sie arbeiten. Es ist in Ordnung, wenn ihr Ziel lautet: "Wir gewinnen gern." Es ist okay, wenn ihr Ziel lautet: "Wir lieben es, Dinge zu erschaffen.“ Oder auch: "Ich will, dass es meinen Leuten gut geht." Was zählt, ist, dass es authentisch ist. Ein unauthentischer Zweck ist schlimmer als gar kein Zweck. Ein Ziel ist nichts, das man sich nachträglich anheftet, um sich besser zu fühlen. Es muss aus der Arbeit heraus entstehen.

"Ein Ziel ist nichts, das man sich nachtäglich anheftet, um sich besser zu fühlen. Es muss aus der Arbeit heraus entstehen."
Portrait of Jim Collins

Jim Collins

Management guru

In Built to Last zitieren Sie die Historikerin Barbara Tuchman. Sie sagt: "Wohlstand erstickt Ziele." Gilt das besonders für finanzkräftige Unternehmen?
Interessanterweise scheitern große Unternehmen in der Regel nicht daran, dass sie selbstgefällig werden, sondern weil sie undiszipliniertes Wachstum verfolgen – Wachstum, das nichts damit zu tun hat, das beste Unternehmen der Welt sein zu wollen, sondern einfach nur von Akquisitionen angetrieben wird. Diese Hybris, die aus dem Erfolg erwächst, nennen wir das undisziplinierte Streben nach mehr. Deshalb ist es so wichtig, ein Ziel zu verfolgen, das weit über den Zweck hinausgeht, Geld zu verdienen. Denn wenn es nur darum geht, viel Geld zu verdienen, gehen einem die Ziele aus, wenn man viel Geld hat. Aber wenn man das Ziel verfolgt, herausragende Dinge zu tun oder zu erschaffen, gehen einem nie die Aufgaben aus. Sehen Sie sich Menschen an, die Nachhaltiges, Langlebiges und Visionäres aufgebaut haben. Ihr Antrieb war ein innerer Zwang. Versuchen Sie sich Beethoven vorzustellen, wie er nach dem Erfolg der Fünften und Sechsten Sinfonie sagt: "Ach, ich habe so viel Geld. Ich lasse es jetzt mal ruhiger angehen und schreibe keine Siebte oder Neunte." Nein, er konnte nicht anders.

Geld spielt also keine Rolle?
Mit Geld kann man nicht die falschen Leute in die richtigen verwandeln. Haben Sie die richtigen Leute, werden die versuchen, die richtigen Dinge zu tun. Haben Sie die falschen Leute, ist alles egal. Großartige Visionen ohne großartige Menschen sind irrelevant. Man sollte sehr vorsichtig mit finanziellen Anreizen umgehen. Die Erfahrungen in Unternehmen sind klar: Anreize beeinflussen das Verhalten. Wenn Sie Anreize für undiszipliniertes Wachstum setzen, werden Sie undiszipliniertes Wachstum bekommen.

Aber Disziplin spielt eine Rolle?
Eines der wirklichen Unterscheidungsmerkmale von Unternehmen, die dauerhaft oben bleiben ist, dass sie in guten Zeiten noch disziplinierter sind als in schlechten Zeiten. Denn das, was man tut, bevor der Sturm kommt, entscheidet, was man tut, wenn der Sturm da ist. Sie wachsen nicht zu schnell. Sie legen Reserven für schlechte Zeiten an. Sie machen keine Kompromisse bei der Qualität ihrer Mitarbeiter. Werde nicht schlampig, nur weil du es dir leisten kannst. Denn wenn der Sturm tatsächlich kommt, bist Du derjenige, der voran geht.

Jim Collins

Jim Collins war Professor an der Stanford Graduate School of Business, bevor er 1995 sein eigenes "Management Labor" gründete. Er war Autor oder Coautor von sechs Büchern über langlebige Unternehmen. Das Magazin Forbes nannte ihn 2017 einen der 100 größten lebenden Wirtschaftsdenker.

Vor einigen Jahren hatten Sie einen Lehrauftrag an der US-Militärakademie in West Point. Hat das Ihre Sicht auf Disziplin oder Sinnhaftigkeit verändert?
Ich frage Sie: Wer hat das härtere Leben? Der Kadett in West Point, der erst vier Jahre lang akademische und physische Anforderungen, Führungsaufgaben und militärisches Training bewältigen muss, um sich danach für mindestens fünf weitere Jahre bei der Armee zu verpflichten – mit der Verantwortung für das Leben von Menschen und den Erfolg von Einsätzen? Oder der MBA-Student in Stanford, der im Silicon Valley rumhängt – auf dem Sprung, ein Start-up zu gründen? Und trotzdem hatte ich den Eindruck, dass meine West-Point-Kadetten deutlich zufriedener waren als meine Stanford-Studenten.

Und woran lag das Ihrer Meinung nach?
Vieles davon ist auf Sinnhaftigkeit zurückzuführen. Fragen Sie die MBAs in Stanford: "Aus welchem Grund bist du hier? Wofür wärst du bereit zu leiden und Opfer zu bringen?" Nur sehr wenige von ihnen hätten eine Antwort. In West Point bekommen Sie eine Antwort. Der Sinn ihres Dienstes ist klar, von Anfang an. Es gab noch mehr Dinge. Fragen Sie West-Point-Kadetten: "Wie viele von euch haben hier erlebt, wie es ist zu scheitern?" Alle werden ihre Hände heben, denn das System ist darauf ausgelegt, dass man kämpfen muss und dass man scheitert. Bei West Point ist das Gegenteil von Erfolg nicht Misserfolg, sondern persönliches Wachstum. Man lernt, dass man nur dann wirklich gut ist, wenn man sich gegenseitig hilft. Können Sie sich bessere Voraussetzungen für Zufriedenheit vorstellen?

Die großen Unternehmen, über die Sie geschrieben haben, haben fast alle Aufgaben selbst übernommen. Disney hat nicht einmal die Verwaltung seiner Parkplätze ausgesourct. Kann man starke Unternehmen in unserer heutigen Welt ausgedehnter Lieferketten noch aufbauen?
Zu unseren heutigen Lieferketten gehört definitiv, dass sie aus vielen beweglichen Teilen bestehen, einschließlich ausgelagerter Teile. Es ist ein bisschen so, als ob wir Alliierte wären – wir kommen aus verschiedenen Ländern, aber müssen eine gewisse Einigkeit haben, um unser gemeinsames Ziel verfolgen zu können. Mein Mentor Peter Drucker hat eine interessante Beobachtung über das 20. Jahrhundert angestellt. Die Alternative zur Tyrannei waren gut geführte, weitläufig agierende Organisationen. Gab es sie nicht, gewann die Tyrannei. Heute, glaube ich, stehen wir an der Schwelle zu einem Umschwung. Wenn es im 20. Jahrhundert um gut geführte Organisationen ging, könnte es im 21. Jahrhundert um gut geführte Netzwerke gehen.

Sie haben sich immer dafür eingesetzt, große und kühne Ziele zu verfolgen. Vor Kurzem sind Sie 60 geworden – haben sich Ihre Ziele verändert?
Ja, und ich denke, Klettern ist ein gutes Beispiel dafür. Klettern war immer ein wichtiges Thema in meinem Leben. Aber meine Ziele dabei haben sich im Laufe der Jahre verändert – oder vielleicht haben sie sich vertieft. Als ich jünger war, ging es vor allem darum, wie man durch Versagen besser wird. Ich habe einmal fünf Jahre gebraucht, um eine bestimmte Route mit 25 "Moves" zu bewältigen. Heute bildet der Aufstieg den Rahmen, um einen wunderbaren, gemeinsamen Tag voller Abenteuer und Kameradschaft zu genießen, sich umeinander zu kümmern, ein gutes Gespräch auf einem Bergvorsprung zu führen, an dem Vögel vorbeifliegen und dann den Aufstieg fortzusetzen. Ich stelle fest, dass für mich in fast allen Lebensbereichen zunehmend das "Wer" wichtiger ist als das "Was". Den Berg kümmert es nicht, ob du ihn bewältigst. Aber deine Freunde kümmert es und du kümmerst dich um deine Freunde. Ich habe auch viel darüber nachgedacht, was mein Lebenswerk sein soll. Ich besitze ein Foto von einem Regal, in dem alle Bücher von Peter Drucker in chronologischer Reihenfolge nebeneinanderstehen. In meinem Alter hatte er erst 25% dieses Lebenswerks geschaffen. Ich frage mich oft, wie ich da mithalten kann, nicht nur durch Zahlen, sondern durch ein übergreifendes Thema. Wenn man sich Peters Regal anschaut und fragt, was die übergreifende Frage ist, denke ich, dass Management ein Unterpunkt war. Die tiefere Frage ist: "Wie machen wir die Gesellschaft produktiver und humaner?" Das ist eine schöne, wunderbare Frage, die sich wie ein roter Faden durch rund 30 Bücher zieht. Oft überlege ich: Es ist ein großes Glück, dass ich bereits ein Werk schaffen konnte. Aber wie kann ich seine Bestandteile miteinander verknüpfen? Wie lautet meine Frage?

Im Fokus

Jim Collins ist davon überzeugt: Unternehmen sind dann dauerhaft erfolgreich, wenn sie genau wissen, warum sie tun, was sie tun.

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Veröffentlicht Juli 2018. Vorhanden in
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