Ram Charan gibt Tipps für die Wirtschaftskrise

Think:Act Magazin “Reise in die Zukunft ”
Ram Charan gibt Tipps für die Wirtschaftskrise

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München Office, Zentraleuropa
27. April 2023

Der renommierte CEO-Berater Ram Charan erläutert, wie Unternehmen gut durch eine Stagflation kommen

Artikel

von Ram Charan
Illustrationen von Jacques Kleynhans

Die Weltwirtschaft bewegt sich in unruhigen Gewässern. Zuerst kehrte die Inflation zurück, dann brachte Russland einen Krieg und eine Energiekrise über Europa. Wie agile Unternehmen in Krisenzeiten zu neuen Ufern aufbrechen.

Die Wirtschaft steckt in einer rezessiven Phase. Die Sorge vor einer Stagflation bleibt ein Dauerthema. Und eine Stagflation ist eine sehr hässliche Sache: Der Kreislauf aus steigenden Preisen, sinkender Nachfrage und hoher Arbeitslosigkeit lässt sich kaum beherrschen. Viele Menschen könnten ihre Arbeit und damit auch ihre Selbstachtung verlieren, wie die Stagflation nach der Ölkrise in den 1970er-Jahren gezeigt hat.

Zentralbanken rund um die Welt haben deshalb keine andere Wahl: Sie müssen das Zinsniveau kräftig anheben, um den Teufelskreis so früh wie möglich zu durchbrechen. Für Notenbanker wären fest verankerte Inflationserwartungen der GAU, weil sie nur noch mit radikalen Zinsschritten einzufangen sind. Weitere drastische Zinserhöhungen von Fed und Co. dürften Unternehmen indes zu tiefen Einschnitten zwingen. Die Anpassung an das neue Zinsumfeld könnte zwei bis drei Jahre Zeit in Anspruch nehmen.

Länder wie die Türkei und Argentinien, aber auch EU-Länder haben 2022 Inflationsraten gesehen, die niemand für möglich gehalten hätte. Unternehmen werden jetzt mutige Schritte wagen müssen, um den Abschwung zu überstehen. Zugleich sollten sie sich aber auch auf eine Rückkehr zum Wachstum vorbereiten, denn es wird kommen. Die Frage ist nur, wann.

Ein Porträtfoto in Schwarz-Weiß von Ram Charan, CEO-Coach, Mitglied von sieben Boards und Bestsellerautor.
Ram Charan ist ein renommierter CEO-Berater, Mitglied von sieben Boards und Autor oder Mitautor von 36 Büchern. Darunter der Titel ­Execution, ein New York Times-Bestseller, und das Werk ­Leading Through Inflation.

Um eine rasante Geldentwertung in einer Rezession zu überstehen, sollten sich Unternehmen auf ihre Liquidität konzentrieren. In Wachstumsphasen liegt der Fokus auf der Gewinnspanne. Nicht so in der Konjunkturflaute: Nun achten sie auf ihren Cashflow, insbe­sondere auf die Bruttomarge. Als sich die höheren Inflationsraten abzeichneten, haben die meisten Unternehmen schnell gehandelt und sich noch günstige Bankkredite gesichert. Jetzt sollten Unternehmen ihre eingehenden Barmittel und deren Verwendung unter die Lupe nehmen. Diese Analyse wird zeigen, wann kleinere Einsparungen nicht mehr ausreichen. Dann wird es Zeit, ganze Regionen, Geschäftsbereiche oder Produktsparten abzustoßen – um ein kleineres, dafür krisenfesteres Unternehmen zu erhalten.

Ebenfalls viel Optimierungspotenzial bietet eine Liquiditätsanalyse im Hinblick auf einzelne Kunden. Lange Zahlungsfristen oder hohe Rabatte mit nachteiligen Effekten auf den Cashflow sollten auf ein Normalmaß zurückgestutzt werden. Verlangen Kunden große Warenbestände von Ihnen? Auch das belastet Ihr Liquiditätspolster.

Als ein mir bekanntes Unternehmen kürzlich den Einfluss seiner Kunden auf die eigene Liquidität genauer untersuchte, war die Geschäftsleitung ziemlich überrascht – es zeigten sich nämlich große Unterschiede bei Rabatten und Zahlungszielen. Das sollte man abstellen. In einer Rezession ebenfalls gut im Auge behalten muss man die Liquiditätssituation seiner Kunden. Vielleicht können Sie einen guten Geschäftspartner zeitweilig unterstützen? Aber passen Sie auf, sollte sein Geschäft ernsthaft in Gefahr geraten.

Entwickelt sich Ihre eigene Finanzsituation kritisch und wird die Aufnahme von Fremdkapital wegen steigender Zinsen zu kostspielig, müssen Sie scharf kalkulieren. Das volatile makroökonomische Umfeld erlaubt Ihnen keine linearen Projektionen hinsichtlich Zins- und Kostenentwicklung. Vorhersagen über das Markt- und Verbraucherverhalten können ebenfalls sehr unzuverlässig sein, wenn sie auf historischen Mustern beruhen. In der neuen Zinswelt sollten Sie Projekte aufgeben, wenn sie zu viele Barmittel verschlingen. Andere Vorhaben lassen sich stattdessen vorziehen. Etwa Digitalisierungsprojekte, die sich schnell bezahlt machen und neuen Cashflow erzeugen. Ich habe erlebt, wie Unternehmen innerhalb von nur sechs Monaten mit einfachen Mitteln eine erhebliche Verbesserung ihrer Finanzen hinbekommen haben.

Eine comicartige Illustration eines Wahrsagers, der eine Kristallkugel vor sein Gesicht hält, in der das Wort "future growth" steht, darüber steht das Wort "crash".
In schwierigen Zeiten müssen wir in die Zukunft blicken, um Wachstum zu ermöglichen.
"Die globale Wirtschaft ist in ­Aufruhr. Aber das Wachstum wird zurück­kehren."
Portrait of Ram Charan

Ram Charan

Berater und Autor

Die härtesten Einschnitte betreffen womöglich Ihre Mitarbeiter. Sinken die Absatzerwartungen, müssen oft auch Mitarbeiter entlassen werden. Legen Sie Ihren Angestellten deutlich dar, warum Entlassungen unvermeidbar sind. Können Sie die Notwendigkeit eines Stellenabbaus vernünftig vermitteln, schaffen Sie Glaubwürdigkeit.

Kommunikation ist zentral für gute Führung. Insbesondere in wirtschaftlich schlechten Zeiten. Erklären Sie Ihren Leuten, wie sich makroökonomische Trends auf Ihr Unternehmen aus-wirken. Ein Problem aber lässt sich auch im Abschwung nicht so einfach aus der Welt schaffen: Die Beschäftigten, die bleiben, wollen einen Inflationsausgleich. Der Wettbewerb um die besten Köpfe wird nicht nachlassen. Ein positives Arbeitsumfeld und gute Kommunikation helfen im Wettbewerb um Fach- und Spitzenkräfte.

Wir leben heute in einer Welt, in der Aktionen und Reaktionen nahezu täglich unsere Umwelt verändern. Zunehmend zieht das politische Geschehen die Wirtschaft in Mitleidenschaft. Die massiven Umbrüche im geopolitischen Machtgefüge sind gegenwärtig der größte Störfaktor für die Weltwirtschaft. Der Überfall Russlands auf die Ukraine ist dafür ein Beispiel. Ebenso beunruhigend ist die feindselige Rhetorik von Chinas Präsident Xi gegenüber dem Westen – und umgekehrt die US-Blockade beim Technologietransfer nach China.

Die Weltwirtschaft ist in Aufruhr. Aber das Wachstum wird zurückkehren, früher oder später. Es werden neue Bedürfnisse entstehen, Unternehmen werden neue Produkte entwickeln. In zehn Jahren erwarte ich durch neue Geschäftsmodelle eine zusätzliche globale Wirtschaftsleistung von rund 30 Billionen US-Dollar.

Um eine erfolgreiche Zukunft zu erkennen, ist eine neue Denkweise wichtig. Nutzen Sie die Krise: Identifizieren Sie Marktlücken, bauen Sie Ihr Unternehmen um; nehmen Sie Produkte vom Markt und entwickeln neue. So entstehen Innovationen, Wachstum und Arbeitsplätze. Der österreichische Nationalökonom Joseph Schumpeter nannte das schon vor 80 Jahren "schöpferische Zerstörung", heute spricht man von disruptiven Innovationen. Mit operativer Disziplin und einem soliden Liquiditätsmanagement ist das Überleben in einer Wirtschaftskrise sehr gut möglich. Das Unglück kommt, aber es kann in eine prosperierende Zukunft mit mehr Wohlstand münden. Überwinden Sie die psychologischen Barrieren – und seien Sie vorbereitet!

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