Illustrated figures inside a colorful circus tent.
Roger Martin kritisiert gängige Managementmodelle

Think:Act Magazin "Der Zirkus der Transformation"
Roger Martin kritisiert gängige Managementmodelle

Portrait of Think:Act Magazine

Think:Act Magazine

München Office, Zentraleuropa
22. Januar 2024

Der Autor von A New Way to Think fragt sich, ob die heutigen Modelle auch morgen noch passen

Interview

von Neelima Mahajan
Illustrationen von Nigel Buchanan

Roger Martin ist für seine scharfsinnige Managementforschung bekannt. Der Berater und Autor ist überzeugt, dass CEOs überholte Modelle, die nicht mehr der Realität entsprechen, über Bord werfen sollten.

In Ihrem letzten Buch, A New Way to Think, stellen Sie das blinde Vertrauen in alte Muster und Modelle infrage. Wie sind Sie dazu gekommen?

Jedes Modell hat seine Herkunft, und in den meisten Fällen war es von Anfang an fehlerhaft. Es dauert etwas, das herauszufinden. Alle herrschenden Modelle haben einen wahren Kern, sonst wären sie nie dominant geworden. Sobald Sie sie ausreichend verwenden, stellt sich die Frage: Liefern sie die Ergebnisse, die Sie von ihnen erwartet haben?

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Passen Modelle vielleicht irgendwann einfach nicht mehr in ihre Zeit?

Das passiert. Ein Modell, das behauptet, die Kosten für die Schulung neuer Mitarbeiter seien gerechtfertigt, weil diese 25 Jahre bleiben werden, ist nicht richtig. Eine moderne Belegschaft bleibt zwei Jahre. Es braucht also ein neues Modell: Wenn ich in diese Leute investiere, dann so, dass sie lange bleiben.

Ein anderes Modell war von Anfang an fehlerhaft: Demnach sollte man die Interessen von Management und Aktionären mit monetären Anreizvergütungen in Einklang bringen. Die Probleme damit werden immer offensichtlicher. Eines meiner Managementprinzipien besagt, dass jedes Spiel manipuliert wird. So betreibt etwa eine Gruppe von Wall-Street-Händlern völlig verantwortungslos Insiderhandel. Dabei realisieren sie nicht, dass die Menschen das Vertrauen in die Kapitalmärkte verlieren werden, die sie für ihre illegalen Gewinne benötigen. Der Parasit wird den Wirt töten.

Roger Martin

Roger Martin war Dekan der Rotman School of Management an der University of Toronto. 2017 kürten ihn die Thinkers50 zum weltbesten Managementvordenker. Er ist Strategieberater für CEOs von Konzernen wie Procter & Gamble, Lego und Ford sowie der Autor von 13 Büchern, darunter A New Way to Think: Your Guide to Superior Management Effectiveness (2022). Martin sprach mit Think:Act während des Global Peter Drucker Forums.

Was sagt blindes Vertrauen in bestehende Muster über uns als Manager aus? Wir werden dazu ausgebildet, quasi automatisch aus einem Menü an Modellen zu wählen, statt bessere zu entwickeln.

Eine Managementausbildung vermittelt Werkzeuge und ihre Anwendungsfälle. In Designschulen hingegen wird einem beigebracht, neue Werkzeuge zu kreieren. Ich fragte den Mitbegründer von Airbnb, Joe Gebbia, wie er auf seine Zeit an der Designschule zurückblickte. "Von entscheidender Bedeutung", antwortete er. Er habe vier Jahre damit verbracht, Dinge zu erschaffen, die noch nicht existierten, und dann dafür kritisiert zu werden. So würde kein Harvard-MBA sprechen.

Sie waren Dekan einer Business School und sind ein Pionier des Design Thinkings. Wo geht unsere Reise hin?

Ich möchte nicht pessimistisch klingen, aber Design Thinking scheint mir auf dem Rückzug. Professoren interessieren sich nicht dafür, weil es in keine Fachrichtung der Business Schools passt.

Erkennen Sie da eine sich selbst replizierende Art, Management zu lehren?

Ja, man verehrt Spezialisierung und quantitative Analyse. Peter Drucker sagte einmal, es gebe keine Marketing-, Steuer- oder Buchhaltungsprobleme – nur geschäftliche Probleme. Aber die Geschäftswelt sagt etwas anderes. Einer meiner Kunden hat eine Milliarde Dollar ausgegeben, um seine europäischen Mitarbeiter in einer Steuerjurisdiktion zusammenzufassen. Aber um dann zu verhindern, dass die Steuerbehörden in den Ländern, aus denen man sich zurückgezogen hatte, das rückgängig machen, durften seine Mitarbeiter nicht mehr in diese Länder reisen. Ein Steuerexperte kann Sie mit Aussagen wie "Sie können das nicht tun wegen Paragraf 38, Absatz B …" verwirren. Ich habe keine Ahnung, was das für ein Paragraf ist. Menschen erlangen sprachliche Kontrolle über einen Bereich, und dann müssen wir sagen: Machen Sie, was Sie wollen. Und nun kann der Vertrieb keine Kunden mehr in diesen Ländern besuchen. Aber wir haben Steuern gespart!

Die Illustration eines rotbraunen Baumes auf einem kurzgemähten Rasen. Der Baum ist leicht zur linken Seite geneigt. Wind weht seine Blätter nach links hinfort. Rechts des Baumes schlägt in der Ferne ein Blitz ein. Der Himmel ist dementsprechend stürmisch und düster.
Vorübergehende Turbulenzen: Wenn Unternehmen etablierte Managementmodelle, die nicht länger den eigenen Zielen dienen, hinter sich lassen, braucht es neue Modelle. Diese müssen zunächst gründlich getestet werden, damit die Führungsebene einen möglichst glatten Übergang garantieren kann.

Woran erkennen Sie, dass ein Modell keinen Sinn mehr macht? Können Sie so etwas vorab beurteilen?

Das kann man nicht im Voraus, aber man kann sagen, was man erwartet. Sie sollten aufschreiben, dass sie dieses Modell verwenden, weil sie jenes Ergebnis erwarten. Der menschliche Verstand hat eine unendliche Fähigkeit zur nachträglichen Rationalisierung. In Kriegsverbrecherprozessen behaupten Gefängniswärter, keine andere Wahl gehabt zu haben, als die Leute in ihren Tod zu schicken. Das ist zutiefst falsch; aber der Verstand kann das Verhalten nachträglich sinnvoll erscheinen lassen. Aufgrund dieser Neigung ist es sehr wichtig, sofort aufzuschreiben, was Sie erwarten, als Referenz. Wenn es das vorherrschende Modell ist, wenden Sie es an, aber prognostizieren Sie die Ergebnisse. Wenn es nicht für Sie funktioniert, versuchen Sie es noch einmal.

Wenn es erneut nicht funktioniert, fragen Sie sich: Ist dies ein gutes Modell?

Als Führungskraft müssen Sie sicherstellen, dass die Modelle überprüfbar sind und überprüft werden. Wenn es ein vorherrschendes Modell gibt, ist es schwer zu sagen, das sei Quatsch. Daher stelle ich die Frage, wie es kommt, dass dieser Mensch als echter Mensch die Entscheidungen treffen wird, die wir von ihm erwarten. Wenn man es dann durchspielt, stößt man natürlich auf einen realen Menschen, der eine bestimmte Reihe von Handlungen ausführt, und nicht auf eine theoretische, konzeptuelle Person.

So denken Sie um die Ecke

Wenn eine Idee zu abwegig erscheint, vergessen Sie, was derzeit gilt. Überlegen Sie, was wahr sein müsste. Entwickeln und testen Sie eine neue Ursache--Wirkungs-Hypothese. Schauen Sie dann, was sich ändern müsste, damit Ihre Hypothese funktioniert.

Deshalb mag ich auch Leistungsbezüge nicht, denn wenn Sie eine Leistungsbezugs-Kurve haben, die für immer nach rechts oben verläuft, dann haben Sie einen Verkäufer, der den Kunden am Ende des Jahres dazu nötigt, zu viel Lagerbestand zu kaufen, um seinen Bonus einzustreichen. Wie soll man einen solchen Mechanismus jemals wieder stoppen? Wo ist der Punkt, an dem Ihr Verkäufer zu dem Zeitpunkt aufhört zu pushen, den Sie sich wünschen würden? Schließlich haben Sie keinen Stoppmechanismus eingebaut. Ihre Verkäufer tun genau das, was Sie ihnen gesagt haben, und betrügen ihre Kunden. Ein Problem von Anreizstrukturen ist also, dass sie zu gut funktionieren.

Ein illustriertes Porträt von Roger Martin. Er lächelt und trägt ein petrolblaues Hemd, dessen rechter Kragen nach oben gefaltet ist. Der Hintergrund ist dunkel und zeigt aufgewirbelte Blätter, die wild um ihn herum und vor ihm zu Boden fallen.

Sollten wir den Prozess der Strategie­planung daher ganz neu denken?

Absolut. Ich es mache es anders als alle anderen. In den meisten Unternehmen ist die Strategieplanung eine sehr analytische Übung, bei der ein Plan herauskommt, keine Strategie. Mir ist unbegreiflich, warum Menschen glauben, es käme etwas Gutes dabei heraus, wenn man eine SWOT-Analyse macht, die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken abfragt. Sie ist wahrscheinlich noch immer die weltweit am häufigsten verwendete Methode für strategische Planungsprozesse. Ich hingegen glaube, wir sollten die SWOT-Analyse abschaffen, weil sie unsinnig ist.

Strategien gegen den Status quo finden
Ergebniswünsche

Gehen Sie ins Detail, ohne den Blick fürs große Ganze zu verlieren. Nur eine Möglichkeit zu prüfen, wäre nicht produktiv.

Menschen

Ihr Brainstormteam ist klein und divers, um Selbstzensur zu verhindern. Teamleiter sollte ein niedrigrangigerer Insider werden.

Regeln

Brainstorming ist nicht die Zeit für Skeptiker. Sehen Sie Kritik als Bedingung dafür an, wie eine Idee funktionieren kann.

In der Pandemie gab es plötzlich keine Modelle mehr, auf die man sich stützen konnte. War das eine Art "Stunde null" in Sachen Management?

"Wenn es hart auf hart kommt, finden wir die Lösungen. Wir werden pro­aktiver sein und eine resilientere Welt schaffen."

Roger Martin

So sollte es sein. Ob es das war, bleibt ­offen. Ich würde hoffen, dass das Management bei jeder Schätzung größere Fehlermargen einplant. Zweitens wünsche ich mir einen anderen Umgang mit systemrelevanten Arbeitskräften: In der Krise stufen wir sie als systemrelevant ein, aber dann nicht mehr, sobald die Wirtschaft sich erholt? Die Mehrheit dieser Menschen verdient gerade mal den Mindestlohn, und eine Menge von ihnen erhielt eine Gefahrenzulage von ein bis zwei US-Dollar pro Stunde, die nach Corona wieder gestrichen wurde. Wir sollten Effizienz und Resilienz viel stärker gegeneinander abwägen und in das richtige Verhältnis bringen.

Wir müssen auch das Arbeiten in Präsenz überdenken. Für viele ist es besser, von zu Hause aus zu arbeiten, insbesondere für Eltern und Pendler. Wir sollten uns vornehmen, unsere Arbeitsweise und unseren Arbeitsplatz an die jeweilige Auf­gabe anzupassen. Ich schätze, dass gerade mal 25 % aller Tätigkeiten davon profitieren, in Anwesenheit anderer Mitarbeiter durchgeführt zu werden.

Sie erwähnten Resilienz und Effizienz: Wie finden Unternehmen hier nach der Pandemie eine neue Gewichtung?

Wir werden das Jahr 2019 als den Zeitpunkt mit den geringsten Reserven der letzten 100 Jahre betrachten. Unsere Puffer für alles – ob Zeit, Personal oder Ausrüstung – werden nie wieder so tief sinken. Stattdessen wird es viele neue Reserven geben, zum Beispiel Pharmafabriken in Nordamerika als Puffer gegen einen Krieg mit China, in dem man dann keine Pharmaprodukte mehr hätte. Es wird einen echten Schub geben, Alternativen für seltene Erden zu finden, über die vor allem China verfügt. Das ist wie im Zweiten Weltkrieg: Als die Japaner Malaysia eroberten, übernahmen sie die weltweite Gummiversorgung. Sechs Monate später hatten die Alliierten synthetischen Kautschuk erfunden, weil ihre Flugzeuge sonst nicht mehr hätten abheben und ihre Jeeps nicht mehr fahren können. Wenn es hart auf hart kommt, finden wir die Lösungen. Wir werden proaktiver sein und eine resilientere Welt schaffen.

ÜBER DEN AUTOR
Portrait of Neelima Mahajan
Neelima Mahajan
Neelima Mahajan ist Chefredakteurin von Think:Act. Sie hat seit zwei Jahrzehnten als Wirtschaftsjournalistin für verschiedene Publikationen in Indien und China gearbeitet, unter anderem war sie Mitglied des Gründungsteams der indischen Ausgabe des Magazins Forbes. Von 2010 bis 2011 war sie Gaststudentin an der University of California in Berkeley und Stipendiatin der Bill und Melinda Gates Foundation für ein Reportageprojekt über Afrika. Majahans Leidenschaft sind Management-Themen. Sie hat zahlreiche renommierte Managament-Vordenker, Nobelpreisträger und Unternehmenslenker interviewt. 2010 erhielt sie den Polestar Award for Excellence in IT and Business Journalism, einen der renommiertesten Journalistenpreise Indiens.
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