Hyperloop: Crowdsourced vs. Inhouse-Strategien

Think:Act Magazin "Spielregeln für Regelbrecher"
Hyperloop: Crowdsourced vs. Inhouse-Strategien

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München Office, Zentraleuropa
11. März 2019

Elon Musk von SpaceX löste eine Reihe von Innovationen aus, die den Hyperloop-Zug zur Realität werden ließen

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von Dan Matthews
Foto: hyperloop technologies

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Es ist ein Jahrhundert-Rennen: Wer wird den ersten Hyperloop entwickeln – eine Technologie, um superschnelle Züge mit Druckluft durch Röhren zu schießen? Zwei Unternehmen führen den Wettlauf an – mit radikal unterschiedlichen Strategien.

Charles Lindbergh ist eine Legende. Der Mann, der im Mai 1927 in 33 Stunden von New York nach Paris flog – und damit als erster Mensch in einem Nonstop-Flug den Atlantik überquerte. Wesentlich weniger bekannt aber ist ein Mann, der den Grundstein für diese Leistung legte: Raymond Orteig. Ein in Frankreich geborener Hotelier, der es in den USA durch harte Arbeit zu Wohlstand gebracht hatte. Er hatte einen Preis von 25.000 Dollar für den Nonstop-Atlantikflug ausgesetzt. Und schon vor Lindbergh versuchten zahlreiche Piloten, sich den Preis zu sichern – und starteten so einen Wettlauf der Innovation. 86 Jahre später löst erneut ein Unternehmer einen Wettlauf um ein neuartiges Transportmittel aus. Ein sehr reicher und sehr hemdsärmeliger Unternehmer: Elon Musk, Gründer von Tesla und SpaceX. 2013 skizziert er die Idee eines Systems aus Vakuumröhren, durch das Passagier- und Güterzüge mit einer Geschwindigkeit von 1.000 Kilometern pro Stunde schießen könnten. Er nennt es: Hyperloop.

Ganz neu ist die Idee nicht. Bereits 1799 ließ der britische Erfinder George Medhurst eine "atmosphärische Eisenbahn" patentieren, die per Luftdruck Reisende durch Röhren unterhalb Londons befördern sollte. Bis Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Großbritannien, Frankreich und den USA mehrere kleine Experimente mit Passagierzügen, die darauf aufbauten. Und es entstand die Rohrpost. Mit ihr wurden etwa in großen Gebäudekomplexen wie Fabriken oder Krankenhäusern Post, Maschinenteile und Medikamente verschickt. Aber auch innerhalb von Städten versendete man Post durch unterirdische Röhren; das weltweit größte Netz in Paris war im Jahr 1935 rund 500 Kilometer lang.

"Hyperloop ist eine Mischung aus einer Concorde, einer Schienenkanone und einem Airhockey-Tisch."
Portrait of Elon Musk

Elon Musk

Ein wirklich schneller Zug aber blieb 200 Jahre lang Träumerei. Niemand sah sich berufen, die Fantasie in Realität umzusetzen. Bis Musk sein White Paper verfasste. Sein Ruf als Querdenker und Antreiber branchenverändernder Ideen brachte Schwung in die Sache. Aber auch das Timing war wichtig. Die Initiative passte zusammen mit Fortschritten in Kommunikation, Datenauswertung, Kartografie, Modelldesign, Weltraumforschung und dem Internet of Things. Neue Branchen und Unternehmen waren entstanden, inklusive des Konzepts der "Crowd" sowie Kreislaufwirtschaft- und Sharing-Konzepten.

Seit 2013 beschäftigen sich mehrere Unternehmen mit dem Konzept, die zwei bedeutendsten davon sind Virgin Hyperloop One (VHO) und Hyperloop Transportation Technologies (HTT). Anders als Eisenbahngesellschaften, Technik- oder Raumfahrtunternehmen sind sie nicht vorbelastet durch etablierte Systeme oder Vorgängermodelle. Was sie hatten, war nichts als eine Idee – und unendlich viele Optionen, um ein Transportmittel zu bauen, das geradeaus in die Zukunft fahren soll.

Facts & Figures
Hyperloop Verkehrstechnik

In den ersten drei Geschäftsjahren hat HTT mehr als $100 Millionen von Investoren eingeworben.

8x härter als Stahl soll das Material Vibranium sein, aus dem HTT seine Transportkapseln fertigt.

10 Stunden pro Woche müssen die Beteiligten von HTT mindestens für das Projekt aufbringen.

Ihre Strategien sind völlig verschieden. VHO stellte ein Team zusammen, baute eine Teststrecke in der kalifornischen Wüste und überzeugte Richard Branson davon, als Investor und Vorstand einzusteigen. Die HTT-Gründer Bibop Gresta und Dirk Ahlborn taten nichts dergleichen. Sie schufen ein Open-Source-Modell. Der Italiener Gresta, heute HTT-Vorstandsvorsitzender, traf den Deutschen Ahlborn auf einer Konferenz in Kalifornien. "Dirk hatte die Website JumpStartFund ins Leben gerufen, auf der Menschen Projekte einstellen können. Wer sich dort engagiert, erhält im Gegenzug Aktien", erzählt Gresta. "Als er das Thesenpapier von Elon Musk einstellte, meldeten sich 100 Menschen aus 20 Ländern, die mitmachen wollten. Darunter waren Leute, die für die NASA, SpaceX, Boeing und Lockheed Martin arbeiteten. Es waren Leute, die für alles eine Lösung hatten. Das hat meine Sichtweise auf Start-ups auf den Kopf gestellt."

Eigentlich wird das Konzept Open Source fast ausschließlich für Software angewendet. Und niemals zuvor war es für ein Infrastruktur-Projekt eingesetzt worden, das so groß ist wie Hyperloop. Doch mithilfe der Crowd gelang es HTT, ein hypothetisches Modell zu entwickeln, wissenschaftliche Grundlagen aufzubauen, Skizzen und Modelle anzufertigen – und sogar, das Konzept an Interessenten zu verkaufen. Das Open-Source-Modell von HTT biete große Chancen, sagt Bent Flyvbjerg, Professor für Major Program Management an der Saïd Business School in Oxford, aber es bringe auch Herausforderungen mit sich: "Das größte Problem bei solchen Projekten ist nicht die Technik; es sind Politik und Behörden. Das unterscheidet es von der Entwicklung von Open-Source-Software: Dafür muss man niemand enteignen und nichts bauen – schon gar nicht über Grenzen hinweg." Fraglich bleibt, ob ein Open-Source-Projekt ähnliche Investitionssummen einwerben kann wie eines, das über ein festes Team verfügt. Als dieser Artikel in Druck ging, besaß HTT anders als HVO nach wie vor keine funktionierende Teststrecke.

Und wer entscheidet bei einer solchen Initiative, welche Ideen weiterverfolgt und welche ignoriert werden? Wie koordiniert ein Start-up, das noch über keinerlei Strukturen verfügt, den Input von so vielen Menschen? "Investitionen in Hardware und Maschinen sind schwer zu rechtfertigen, wenn unklar ist, wohin das Geld fließt, wie der Markt aussieht und was davon sich jemals monetarisieren wird", sagt Stefan Haefliger, Professor für strategisches Management und Innovationen an der Cass Business School in London. Dennoch bewegt sich HTT mit Lichtgeschwindigkeit vorwärts, unterschreibt Vereinbarungen zu Lizenzen und Machbarkeitsstudien in Indien, Südkorea, Indonesien und Tschechien – ebenso wie Verträge über mögliche kommerzielle Nutzungen von Hyperloops in China und der Ukraine. Auch die Arbeiten an einer 320 Meter langen Teströhre im französischen Toulouse haben begonnen. Und bis Ende 2019 werde eine weitere, ein Kilometer lange Röhre im Einsatz sein, sagen die Gründer.

"Das größte Problem bei solchen Projekten ist nicht die Technik; es sind Politik und Behörden."
Portrait of Bent Flyvbjerg

Bent Flyvbjerg

Auch VHO hat mit seinem traditionellen Modell in Sachen Teamaufbau, Finanzierung und Entwicklung eines funktionierenden Prototyps große Fortschritte erzielt. Das Unternehmen hat gute Chancen, die Ausschreibung für ein extrem schnelles Transportsystem zwischen Chicago, Columbus und Pittsburgh zu gewinnen. Eine Machbarkeitsstudie über eine Strecke zwischen den indischen Städten Pune und Mumbai soll sich "in einem fortgeschrittenem Stadium" befinden. Andere Studien beschäftigen sich mit dem Bau von Strecken zum internationalen Flughafen von Denver und zwischen Kansas City und St. Louis. Zudem stehen die VHO-Gründer mit der saudi-arabischen Regierung in Kontakt, die die Städte ihres Landes miteinander verbinden will.

"Im Jahr 2017 haben wir uns voll darauf konzentriert, die Technologie auf unserer Teststrecke DevLoop zu testen", sagt Ryan Kelly, Head of Marketing and Communications bei VHO: "2018 und 2019 geht es um die Markteinführung. Darum lassen wir weltweit Studien zu ökologischen Folgen durchführen." Für Kelly liegt der Schlüssel zum Erfolg im Rennen darin, Leute an Bord zu bekommen, die sich mit Sicherheitsregeln und behördlichen Vorschriften auskennen. Das sei wichtiger "als einen Risikokapitalgeber an Bord zu bekommen, der unsere Idee gut findet", sagt er.

Es gibt eine Frage, die darüber hinausgeht. Sie lautet: Können Entwicklungen und Unternehmen, die aus Open Source entstehen, eine Rolle bei großen Infrastruktur-Projekten spielen? "Es ist sehr reizvoll, die Fähigkeiten so vieler Experten zusammenzubringen, die nie in Vollzeit für das Projekt arbeiten könnten", sagt Johan Herrlin, CEO bei der Firma Ito World, die an Hyperloop-Technologie gearbeitet hat.

"Das Risiko ist, dass dabei fragmentarische Ideen zusammenkommen, die sich schwer in einem kohärenten Plan vereinigen lassen. Letztlich braucht es ein Kernteam, das sicherstellt, dass Schlüsselelemente nicht verändert werden, insbesondere wenn es um Sicherheitsfragen geht", fährt Herrlin fort. "Ich kenne kein anderes bedeutendes Transportprojekt, das diesen Ansatz verfolgt. Aber vielleicht zeigt das nur, wie viel neuartiger und komplexer die Aufgabenstellung bei Hyperloop ist als bei traditionellen Projekten, bei denen es vorrangig darum geht, etwas auszuführen."

Die Zahl von Open-Source-Projekten außerhalb der Software-Welt jedenfalls nimmt stetig zu. Dazu gehören Bürgerbeteiligungsprojekte von Kommunen ebenso wie Crowdfunding-Projekte – vor allem solche, bei denen Unternehmen Dienstleistungen und Produkte nach den Wünschen der Investoren fertigen. Local Motors etwa entwickelte sich von einer Design-Community zu einem Unternehmen, das mittlerweile für große Autobauer und sogar für die Rüstungsindustrie arbeitet. Der Schmuckhersteller Swarovski arbeitete mit Designs, die Teilnehmer eines Wettbewerbs kreiert hatten. Und aus Threadless, ursprünglich eine Website für T-Shirt-Drucke, wurde eine Plattform, über die Designer und Künstler inzwischen nicht nur Kunsthandwerk, sondern sogar Bekleidung und Einrichtungsgegenstände verkaufen.

Ob sich die Open-Source-Lösung von HTT am Ende durchsetze oder nicht, sei nicht entscheidend, meint Professor Haefliger: "Erfolg misst sich nicht nur an der Profitabilität. Nicht daran, ob eine bestimmte Teststrecke gebaut wird. Die Firma kann trotzdem Erfolg haben, weil sie neue Methoden und Anwendungen erschafft. Darunter könnte eine technische Innovation sein, die alles überragt, weil sie so nützlich ist. Das Wesentliche ist, dass sie eine Menge großartiger Dinge produziert, weil sie eine Menge exzellenter Denker und Ingenieure zusammenbringt. Ich bin überzeugt davon, dass sie die Transportindustrie verändern werden – auf die eine oder andere Art."

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Veröffentlicht März 2019. Vorhanden in
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