Former Netflix Chief Talent Officer Patty McCord sitting at a table
Wie McCord die Regeln der Personalarbeit neu definiert hat

Think:Act Magazin "Spielregeln für Regelbrecher"
Wie McCord die Regeln der Personalarbeit neu definiert hat

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München Office, Zentraleuropa
25. März 2019

Patty McCord's Herangehensweise an die Personalarbeit bleibt auch nach ihrem Ausscheiden aus Netflix legendär

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von Bennett Voyles

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"Spielregeln für Regelbrecher"

Patty McCord trug mit ihren unorthodoxen Methoden zum Aufstieg von Netflix bei. Eine ihrer Kernbotschaften lautet: Ehrlichkeit macht alles einfacher. Vor allem, wenn man jemanden feuern muss.

Keine 20 Jahre ist es her, da war Netflix bloß irgendein Start-up im Silicon Valley. Kaum vorstellbar angesichts der überragenden Rolle, die der Streaminganbieter und Filmproduzent heute in unserer Medienlandschaft einnimmt. Netflix hatte ein gutes Timing, eine durchdachte Strategie – und Patty McCord. Das Silicon Valley hatte immer den Ruf, liberaler zu sein. Aber tatsächlich waren viele Unterschiede zu etablierten Unternehmenskulturen eher oberflächlich: Duzen, keine Krawatten, Hunde im Büro. McCord war das nicht genug. Als sie Chief Talent Officer wurde, lautete ihr Ziel, das Verhältnis von Mitarbeitern zu ihrem Unternehmen substanziell zu verändern. Out: Leistungsübersichten, Spesenabrechnungen, fest vereinbarter Urlaub. In: Topgehälter für Topleistungen, ehrliches und promptes Feedback – und die Entlassungspapiere für jeden, der nicht mehr gebraucht wird.

"Die Stimme der Personaler muss bei jeder Entscheidung Gewicht haben."
Portrait of Patty McCord

Patty McCord

Chief Talent Officer
Netflix

In ihrem Buch "Powerful: Building a Culture of Freedom and Responsibility" resümiert McCord ihre Rolle bei der Entwicklung einer erfolgsgetriebenen Kultur, die aus einem Unternehmen mit einer Handvoll Angestellten und einem Traum einen global agierenden Giganten machte. Im Nachhinein betrachtet, meint sie, sei die Revolution eher zufällig passiert. "Ich habe nie irgendetwas erfunden. Mir ging es nicht so sehr darum, Regeln zu brechen, sondern stets zu hinterfragen, warum wir etwas tun." Eine der ersten grundlegenden Erkenntnisse war, dass es nicht mehr in die heutige Arbeitswelt passt, ewig bei einem Arbeitgeber zu bleiben. "Ich wollte kein Unternehmen gestalten, bei dem Menschen gern bleiben, sondern ein Unternehmen, von dem Menschen gern kommen", sagt McCord. "Das war befreiend. In vielen Firmen gibt es viele Mitarbeiter, die vor allem darin gut sind, loyal zu sein, aber nicht mehr wirklich dorthin gehören. Jeder weiß es, aber keiner traut sich, das falsche Versprechen, das man einander gegeben hat, zu brechen."

Diese Erkenntnis machte es leichter, Mitarbeiter einzustellen. "Ich lese Bewerbungsunterlagen, um zu erfahren, woher die Bewerber kommen und welche Aufgaben sie dort gelöst haben. Nicht, weil ich mit ihnen ein Bier trinken gehen will." Die Einstellungspolitik von Netflix war es, "sicherzustellen, dass die Dichte an qualifizierten Mitarbeitern im Unternehmen aufrechterhalten wird", schreibt McCord in ihrem Buch.

Auch andere Einsichten wirkten befreiend. McCord schuf formelle Voraussetzungen für Spesen und Reisekosten ab. Die einzige Vorgabe lautete: Verschwendet kein Geld. Feste Urlaubstage wurden ebenfalls abgeschafft: "Nimm dir frei, wenn du meinst, dass es passt." Die Resultate waren positiv, sagt sie. Ihre HR-Abteilung musste sich um weniger Papierkram kümmern, die Mitarbeiter mussten sich um weniger Details Gedanken machen – und hatten dadurch mehr Zeit, für das Wachstum des Unternehmens zu sorgen.

Paddy McCord

Als Chief Talent Officer bei Netflix fasste McCord in dem berühmt gewordenen "Freedom and Responsibility Deck" zusammen, wie Netflix seine Talente managt. Heute arbeitet sie als Speaker, Beraterin und Autorin.

Aber McCord schaffte nicht nur Sachen ab. Gemeinsam mit CEO Reed Hastings verfasste sie eine PowerPoint-Präsentation zu der Frage, wie Netflix seine Talente managen sollte. Die 124 Slides sind inzwischen 13 Millionen Mal heruntergeladen worden. Facebook-COO Sheryl Sandberg nannte sie "das wichtigste Dokument, das jemals aus dem Silicon Valley kam.

Ironischerweise hatte die Kultur, die sie mit aufbaute, für McCord selbst Konsequenzen. 2012 wurde sie entlassen. "Sie hat ihre Rolle gut ausgefüllt", hieß es in einem Zeitschriftenartikel, "aber das Team brauchte sie nicht länger."

Es sei schmerzhaft gewesen, Netflix nach 14 Jahren zu verlassen, sagt sie. Aber es habe sich gezeigt, dass man gut von dort kommen könne: Nach ihrer Entlassung wurde McCord Beraterin für Start-ups und Unternehmen, die die Methoden von Netflix adaptieren wollen.

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Keine große Familie

"Wir müssen mit dem Mythos aufräumen, dass Unternehmen Familien sind. Damit schafft man nichts als Enttäuschungen." Ehrlichkeit sei besser, schreibt McCord in Powerful: "Es macht es für alle Beteiligten leichter, wenn Personaler begreifen, dass sie dafür da sind, die richtigen Leute mit dem richtigen Unternehmen, zum richtigen Zeitpunkt zusammenzubringen – für einen Zeitraum von durchschnittlich sechs Jahren."

Keine Unterbezahlung

Für Topleute zahlte Netflix immer Topgehälter. "Wenn man sich darauf konzentriert, die besten Leute zu bekommen, die man findet, kann man es sich leisten, überdurchschnittliche Gehälter zu bezahlen. Das Wachstum, das man dadurch schafft, ist fast immer höher als die Summe, die man beim Gehalt gespart hätte."

Keine Bonuszahlungen

"Wenn Mitarbeiter sich wie Erwachsene verhalten und dem Unternehmen immer Vorrang geben, braucht es keinen Bonus, damit sie härter oder besser arbeiten."

Keine Sperrfristen

Viele Start-ups nutzen Aktien, die erst nach einiger Zeit eingelöst werden können, um Mitarbeiter zu binden. Bei Netflix sind diese sofort einlösbar. Angestellte können sich aussuchen, wie viel sie in Aktien und wie viel in Bargeld erhalten wollten.

Keine Spesenabrechnung

McCord schaffte feste Regeln für Ausgaben und Spesen ab. Die Vorgabe lautete: Verhalte dich im Interesse der Firma. "Wir behandelten die Mitarbeiter wie Erwachsene. Und sie fanden das toll."

Keine festen Urlaubstage

Angestellte durften freinehmen, "wenn sie glaubten, dass es gut passt." Das habe nicht viel verändert, schreibt McCord: "Die meisten nahmen eine oder zwei Wochen im Sommer frei, einige Zeit um Feiertage herum und noch einen Tag hier und da."

Keine Jahresbeurteilung

Jahresbeurteilungen sind für Feedbacks ungeeignet, meint McCord: "In dem Moment, in dem etwas schiefläuft, muss man Feedback geben, nicht acht Monate später in Schriftform."

Eines ihrer vorrangigen Ziele ist, Unternehmen zu ermuntern, ihre Doktrin radikaler Ehrlichkeit zu leben. Beispielsweise, indem sie anonyme Umfragen abschaffen. "Ich hasse solche Umfragen, weil sie Menschen das Gefühl geben, man könne nur anonym ehrliches Feedback geben", sagt McCord. In offenen Gruppengesprächen hingegen könne man klar vermitteln, welche Prioritäten das Unternehmen habe. "Dort kann man sagen: Nein, wir bringen die Kiwi-Limonade nicht zurück. Wir wissen, dass ihr darüber traurig seid, aber wir sind es nicht. Weitere Fragen?"

Neben radikaler Vereinfachung predigt sie, dass Personalabteilungen ihre Herangehensweisen ändern müssen. Früher habe HR oft dem Geschäft hinterhergehinkt. "Nach meiner Erfahrung haben Führungskräfte oft vorgefasste Meinungen über ihre HR-Leute: a) Sie sind nicht die Schlauesten, b) sie sind keine Geschäftsleute, c) sie sind zu sehr auf Menschen fixiert und sensibel", sagt sie. "Ich entgegne dann: Wenn Sie wirklich glauben, dass Ihr HR-Verantwortlicher nicht schlau ist, Ihr Geschäft nicht versteht und nicht mit anderen Führungskräften mithalten kann, dann stellen Sie jemand anders ein. Aber bevor Sie das tun, sollten Sie etwas ausprobieren: Fordern Sie mehr ein."

Die HR-Abteilung dürfe keine Hilfstruppe sein: "Ihre Stimme muss bei Geschäftsentscheidungen Gewicht haben. Denn jede Geschäftsentscheidung beinhaltet irgendwann irgendwie eine Personalentscheidung." Um diese Position zu erkämpfen, sei der erste wichtige Schritt für HR-Verantwortliche, mehr über das Geschäft zu lernen. "Personaler müssen die Sprache des Geschäfts lernen. Sie müssen eine Gewinn-Verlust-Rechnung lesen können. Sie müssen die Wettbewerber kennen und die Kundenakquisekosten. Außerdem müssen sie mehr als nur ein rudimentäres Verständnis der Technologie besitzen, auf der der Geschäftserfolg beruht." Das zahle sich nicht nur für den Personaler selbst aus, sondern für das gesamte Unternehmen, sagt McCord: "Wenn die Ziele der Personalabteilung so mit denen des Unternehmens im Einklang stehen wie bei Netflix, hilft das den Mitarbeitern, sich auf das zu konzentrieren, worauf es ankommt."

Mccord war eine der ersten, die das Prinzip der Vereinfachung im Personalwesen einführte. Aber sie sei nicht die Einzige, sagt sie. "Gerade gibt es ein radikales Umdenken zu der Frage, für wen wir eigentlich arbeiten. Sind wir die Vertreter des Angestellten oder des Managements? Sind wir die Türsteher? Stellen wir die Regeln auf? Beschützen wir die Angestellten? Oder schützen wir das Unternehmen vor schlechten Angestellten?"

McCord ist sicher: "All dieses Sich-selbst-Hinterfragen kann man getrost in die Tonne treten. Die richtige Antwort ist einfach: Wir arbeiten für unsere Kunden. Nicht nur die Personalabteilung, sondern wir alle. Denn nur darum existiert unser Unternehmen überhaupt."

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Veröffentlicht März 2019. Vorhanden in
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