David Novak über die Bedeutung von Demut

Think:Act Magazin "Ein neuer Bauplan für Innovation"
David Novak über die Bedeutung von Demut

11. Mai 2025

Der Ex-CEO von Yum! Brands verrät, wie Führungskräfte von kontinuierlichem Lernen profitieren

Interview

von Steffan Heuer
Fotos von Ysa Perez

David Novak stieg vom jungen Werbetexter zum Mitgründer und Vorstandsvorsitzenden von Yum! Brands auf. Der heute renommierte Führungsexperte führt seinen Erfolg auf eine zentrale Eigenschaft zurück: die lebenslange Bereitschaft, anderen zuzuhören und von ihnen zu lernen.

Ständig unterwegs, andauernd neue Freunde: David ­Novak musste sich als Heranwachsender immer wieder neu orientieren. Sein Vater arbeitete als Vermessungsingenieur für Kartografen. Die Familie zog im Wohnwagen quer durch die USA. Rückblickend war es dieses nomadische Leben, das ihn erfolgreich machte: "Es hat Jahrzehnte gedauert, bis ich den Zusammenhang zwischen diesen Erfahrungen und meinem Verhalten im Leben und in meiner Karriere erkannte, besonders als Führungskraft."

Aufnahme von David Novak mit dem vom Betrachter abgewandten
In seinem Element: David Novak lud Think:Act für ein exklusives Fotoshooting in sein Sommerhaus ein, wo ihn Erinnerungen an seine Arbeit und die Familie umgeben.

Seit seinem Ausscheiden als Chairman und CEO von Yum! Brands, der weltgrößten Gruppe für Systemgastronomie, will Novak seine Erfahrungen teilen: Mit seiner Dachorganisation David Novak Leadership betreibt er vier gemeinnützige Einrichtungen, die Führungskompetenzen vermitteln. Er betreibt einen Business-Podcast und hat den Bestseller Taking People With You (2012) sowie das Buch How Leaders Learn (2024) verfasst.

Think:Act traf ihn zum Videointerview.

Was unterscheidet normales Lernen von aktivem Lernen, wie Sie es praktizieren?

Ich habe in meinem Leben viele intelligente Menschen getroffen, die selbstbewusst über fast jedes Thema sprechen konnten. Aber sie waren keine aktiven Lerner. Der Unterschied zwischen ihnen und aktiven Lernern besteht darin, was sie mit ihrem Wissen machen. Aktive Lerner sind stets auf der Suche nach Ideen und Erkenntnissen, die sie mit konkretem Handeln verbinden können, um positive Veränderungen zu bewirken.

Welche Eigenschaften zeichnen denn solche aktiven Lerner besonders aus?

Sie wollen etwas in Bewegung setzen. Ob für ihr Umfeld oder für die Menschen, die sie führen, mit denen sie arbeiten oder leben. Sie sind neugierig und offen für neue Ideen, Erfahrungen und Menschen. Sie sind bescheiden genug, um zu akzeptieren, dass sie nicht alles wissen können.

Zugleich sind sie selbstbewusst genug, um mit ihrem vorhandenen Wissen Probleme anzugehen oder Herausforderungen anzunehmen. Die Erfolgreichsten unter ihnen konzentrieren sich gleichermaßen auf Menschen und Ergebnisse, unsere beiden wichtigsten Quellen des Lernens.

David Novak

David Novak startete seine Karriere als Werbetexter bei der Agentur Ketchum, wo er als Supervisor den PepsiCo-Etat betreute. Später wurde er Mitgründer und CEO von Yum! Brands, der Sparte Fast Food von PepsiCo. Von 1999 bis 2016 verhalf er dem Unternehmen zu einer Verachtfachung des Marktwerts von 4 auf 32 Milliarden US-Dollar. Nach seinem Rückzug im Jahr 2016 gründete er David Novak Leadership und moderiert seither den erfolgreichen Podcast How Leaders Lead. Der Autor von fünf Bestsellern ist ein gefragter Experte für Führungskultur und Personalentwicklung.

Wie wird man zum aktiven Lerner? Welche konkreten Fähigkeiten gilt es zu entwickeln?

Zunächst sollte man sich eine Routine aneignen. "Mehr lernen" kann ein vages Ziel sein, deshalb brauchen wir eine gewisse Systematik. Ich mache zum Beispiel jedes Jahr eine sogenannte 3×5-Übung. Auf einer Seite einer 3×5-Zoll-Karteikarte beantworte ich die Frage: "Wer bin ich heute?" Und auf der anderen Seite: "Wie kann ich morgen besser werden?" Das hilft mir, fokussiert und handlungsorientiert zu lernen. Zweitens sollte man diese Routine nutzen, um einen offenen, neugierigen Geist zu entwickeln. Wir können neugieriger werden, unseren Horizont erweitern und unsere Vorurteile überwinden.

Brian Cornell, der erfolgreiche CEO von Target, erzählte mir, er bemühe sich um mehr Neugier, indem er auf seine Sprache achte. Er versuche, dreimal so viele Fragen zu stellen wie Aussagen zu machen. Um meinen Horizont zu erweitern, suchte ich gezielt den Austausch abseits meiner üblichen Kontakte: Ich begleitete Pepsi-Auslieferungsfahrer auf ihren Touren, teilte in der Kantine den Tisch mit Kollegen aller Ebenen und widmete mich bei Restaurantbesuchen intensiv den Gesprächen mit dem Küchen- und Servicepersonal. Drittens, und das mag wie ein Zirkelschluss klingen: Man muss handeln. Auch wenn es riskant erscheint. Aktives Lernen muss irgendwo beginnen. Bleiben wir im Stillstand, lernen wir nichts.

Sie unterscheiden drei Arten des Lernens: Lernen von Menschen und Umgebungen, Entwickeln eines offenen, neugierigen Geistes und Lernen durch Handeln. Können Sie uns die wichtigsten Punkte für alle drei Bereiche erläutern?

Wer von Menschen, Situationen und Erlebnissen lernen will, muss zwei Dinge beherrschen: Lernpotenziale überall erkennen und sich selbst gegenüber aufrichtig sein. Besonders herausfordernd wird es, wenn wir von Menschen lernen sollen, die mehr wissen als wir. Denn dafür müssen wir erst einmal deren Überlegenheit akzeptieren. Ähnlich schwer fällt es uns, aus Niederlagen zu lernen, weil die Analyse eigener Fehler und Missgeschicke oft unangenehm ist. Dabei bietet jede neue Konstellation – sei es ein anderes Umfeld, eine ungewohnte Situation oder ein neues Team – wertvolle Chancen, etwas Neues zu lernen. Wer seinen Geist für Neues öffnen will, muss zunächst die eigenen gedanklichen Barrieren durchbrechen, die uns von wertvollen Impulsen, Möglichkeiten und Begegnungen abhalten.

Scharfes kritisches Denken entwickelt sich erst, wenn wir gegen die natürlichen Tendenzen unseres Gehirns ankämpfen: gegen die Versuchung, gedankliche Abkürzungen zu nehmen, gegen die Scheu vor Risiken und gegen den Hang zum Negativen. Echte Erkenntnis entsteht durch aktives Tun, aber nur, wenn wir uns voll einbringen und die Erfahrungen bewusst verarbeiten. Dabei kommt es auf die richtigen Aktivitäten an: Wir wachsen dort, wo wir uns neuen Herausforderungen stellen, komplexe Probleme meistern, schwierige Aufgaben anpacken, ethisch handeln und Menschen in den Mittelpunkt stellen.

Wann wurden Sie selbst zum aktiven Lerner? Gab es Meilensteine oder Karriereentscheidungen bei Frito-Lay, PepsiCo oder Yum! Brands, die diese Entwicklung beschleunigten?

Meine Eltern legten den Grundstein: Ihre Arbeitsethik war vorbildlich, sie forderten stets mein Bestes und lehrten mich Großzügigkeit und echtes Interesse an Menschen. Diese Werte, gepaart mit unseren häufigen Umzügen, schufen eine perfekte Grundlage für aktives Lernen. Mein Ehrgeiz tat sein Übriges. Wer vorankommen will, muss schnell und viel lernen. Früh in meiner Karriere erkannte ich meine Stärke: Als Problemlöser konnte ich Teams formen und Ergebnisse liefern. Und es machte mir Spaß!

"Man muss sich eingestehen können, dass man nicht alles über Probleme weiß oder deren Lösungen kennt. Bleiben Sie offen für gute Ideen – egal, woher sie kommen."

David Novak

Autor von How Leaders Learn

Im Grunde war das die Arbeit, die ich in Werbe­agenturen machte. Aber es nahm erst richtig Fahrt auf, als ich Marketing-Vizepräsident bei Pizza Hut wurde, das damals zu PepsiCo gehörte. Jeder weitere Karriereschritt gelang mir, weil ich mir den Ruf erworben hatte, Teams und Unternehmen umkrempeln zu können. In jeder Position wurde mir mehr und mehr klar, dass Transformation nur möglich ist, wenn man von anderen lernen und gemeinsam handeln kann. Man muss sich eingestehen können, dass man nicht alles über Probleme weiß oder deren Lösungen kennt. Bleiben Sie offen für gute Ideen – egal, woher sie kommen. Die eigene Risikoscheu muss man überwinden, neue Wege beschreiten und große Herausforderungen annehmen. Und man muss die Anerkennung für einen Erfolg mit anderen teilen können, um positive Energie aufzubauen, damit Menschen weiterhin ihre großartigen Ideen mit einem teilen.

Sie schreiben auch über Ihr Gefühl, nicht dazuzugehören, wenn Leute in Meetings mit ihren Abschlüssen prahlen. Bereitet uns traditionelle Bildung darauf vor, lebenslange Lerner zu werden?

Traditionelle Bildung schafft ein Fundament an Wissen und elementaren Lernfähigkeiten wie kritisches Denken, Recherche und Analyse. Die besten Bildungsansätze fördern zusätzlich kreatives Denken, Teamarbeit und Selbstverständnis. Sie ermutigen uns, Interessen zu verfolgen, die unsere Neugier und Führungskompetenz stärken. Aktives Lernen ist weder an Bildungsinstitutionen gebunden, noch lässt es sich an der Zahl der Abschlüsse oder dem Prestige der besuchten Universitäten messen. Der Großteil meiner Karriere brachte mich mit Menschen zusammen, die einen MBA von Eliteuniversitäten hatten, während ich nur einen Bachelor in Journalistik einer staatlichen Hochschule vorzuweisen hatte. Es war meine aktive Lerndisziplin, die mir geholfen hat, in meiner Karriere schnell voranzukommen.

David Novak sitzt auf einem großen Polsterhocker in einem Wohnzimmer und beugt sich vor, um seinen Spaniel zu streicheln, der zu ihm aufschaut. Im Hintergrund sind goldgelbe Wände und gerahmte Bilder zu sehen.
Bewusste Auszeit: Novak hält jeden Tag mehrmals inne, um über Herausforderungen nachzudenken oder kreative Ideen für sein Unternehmen zu entwickeln.

Gerade Führungskräften fällt es oft schwer, sich einzugestehen, dass sie vielleicht nicht der klügste Kopf im Raum sind. Wie lässt sich diese mentale Blockade überwinden?

Erstens: Reden Sie mit mehr Menschen, die Ihnen die Wahrheit sagen. Ich hatte viele davon. Meine Frau Wendy, die 2024 verstarb, war die wichtigste unter ihnen. Jedes Mal, wenn ich eine Rede hielt, gab sie mir eine Schulnote. "Das war eine Zwei", sagte sie dann. Zunächst wurde ich defensiv. "Nur eine Zwei? Alle fanden es großartig!" Dann erklärte sie mir, warum es nur eine Zwei war und wie ich es beim nächsten Mal besser machen könnte. Und ich habe daran gearbeitet, mich belehren zu lassen, damit ich zuhören kann.

Zweitens: Umgeben Sie sich mit Menschen, die mehr wissen als Sie und die bereit sind, dieses Wissen zu teilen. Wenn wir von Leuten umgeben sind, die uns sagen, was wir hören wollen, anstatt unsere Wissenslücken zu füllen, werden wir wichtige Informationen übersehen und mit unausgereiften Ideen und Strategien weitermachen.

Drittens müssen Sie jeden Tag daran arbeiten, mehr Bescheidenheit zu entwickeln, ohne Ihr Selbstvertrauen zu zerstören. Alles läuft darauf hinaus, zu erkennen, dass Ihr Erfolg von anderen Menschen abhängt. Mit Demut erkennen Sie an, dass Sie es nicht allein schaffen. Und Selbstvertrauen ist einfach die Erwartung, dass Sie einen Weg finden werden – irgendwie. Und dieses Irgendwie hängt fast immer von einem Team ab.

Scheitern wird gerne als Chance dargestellt. Was war Ihr größter Misserfolg, aus dem Sie am meisten lernen konnten?

Mein jedenfalls bekanntester Misserfolg war die landesweite Einführung von Crystal Pepsi, die ein Jahr später wieder vom Markt genommen wurde. Saturday Night Live verspottete uns und das Time Magazine setzte Crystal auf seine Liste der "100 schlechtesten Ideen des Jahrhunderts". Ich habe gelernt, dass ich meinen Enthusiasmus und meinen Ehrgeiz nicht über den Rat von Leuten stellen darf, die mehr wissen als ich. Ich hatte vorher nicht gut genug zugehört, war zu schnell und zu rabiat vorgegangen. Die Misserfolge, die ich am meisten bedaure, betreffen jedoch Menschen: Momente, in denen ich nicht genug Dankbarkeit zeigte, in denen ich Ergebnisse über Beziehungen stellte.

Setzen wir Chancen für aktives Lernen aufs Spiel, wenn wir zu viel Zeit im Homeoffice und in Videokonferenzen verbringen?

Wenn wir nicht im Büro sind, fehlt die Möglichkeit, Kontakt zu Menschen aus anderen Abteilungen oder anderen Hierarchieebenen aufzubauen. Das gilt besonders für Führungskräfte. Es kann leicht passieren, dass man den Kontakt zu denjenigen Menschen verliert, die die alltägliche Arbeit machen. Als ich zum Beispiel große Unternehmen leitete, traf ich regelmäßig jemanden, der allein in der Kantine saß, und fragte, ob ich mich dazusetzen darf. Ich erfuhr so Dinge, die ich vorher nicht wusste. Ein junger Marketingmitarbeiter gab mir zum Beispiel gute Anregungen, wie man neue Mitarbeiter schulen kann. Manchmal erfuhr ich, wie Menschen über unsere Entscheidungen in der Führungsebene dachten und wohin sich das Unternehmen entwickelte. Vor allem erweiterte ich meine Erfahrung mit den Menschen, die für unser Unternehmen arbeiteten, und das stellte meine Urteile und Annahmen infrage. Wir lernen mehr von anderen Menschen als fast überall sonst im Leben.

David Novak sitzt auf einem Lederstuhl hinter seinem Schreibtisch und blickt in die Kamera. Hinter ihm sieht man eine grüne Regalwand mit gerahmten Fotos. Vor dem Schreibtisch steht ein Ledersofa.
Klartext: In seinem Podcast How Leaders Lead, den er in seinem Heimstudio aufnimmt, gibt ­Novak Einblicke, wie CEOs und Gründer ihre Ziele vorantreiben.

Die Leitung einer großen Firma kann sehr vereinnahmend sein. Wie kommen Sie zur Ruhe?

Manchmal plante ich Zeit dafür ein, um über eine Herausforderung oder kreativ über ein Geschäft nachzudenken. Ich nehme bis heute einmal in der Woche an einer Bibelstudiengruppe mit Freunden teil, die ebenfalls Unternehmenslenker sind. Wir reflektieren darüber, wie wir im Einklang mit unseren Werten leben und andere führen können. Und ich verbringe jeden Morgen Zeit damit, über meinen Tag nachzudenken.

"Je besser wir die Welt so sehen, wie sie wirklich ist, desto besser sind unsere Ideen. Und umso klarer wird auch, was wir tun müssen."

David Novak

Mitgründer und Ex-CEO
Yum! Brands

Manche Probleme erscheinen einfach zu komplex oder es gibt vielleicht gar keine gute Lösung. Können Sie uns bitte erklären, wie Sie solche schwierigen Fragen angehen?

Zunächst sammle ich so viele Informationen wie nötig, um das Problem auf seine einfachste Form zu reduzieren. Ich suche nach wesentlichen Informationen, die mir helfen, die Realität zu verstehen – und nicht das, was ich mir wünsche oder erhoffe. Je mehr wir die Welt so sehen, wie sie wirklich ist, desto besser sind unsere Ideen. Und umso klarer wird auch, was wir tun müssen. Dann stelle ich die einfachste Frage, die möglich ist, um eine effektive Entscheidung zu fällen.

Wenn ich versuche zu entscheiden, ob ich jemanden einstellen soll, und alle anderen Voraussetzungen dafür erfüllt sind, frage ich mich immer: "Würde ich wollen, dass meine Tochter Ashley für diese Person arbeitet?" Wenn ich versuche, herauszufinden, wie ich eine Firma verbessern könnte, frage ich die Leute in meinem Team oder an der Basis: "Was würden Sie an meiner Stelle tun?" Als ich im Marketing tätig war, habe ich immer wieder gefragt: "Welche Überzeugung oder Gewohnheit müssen wir ändern, um das Wachstum des Unternehmens zu fördern?" Wenn meine Teams diese Frage klar und einfach beantworten konnten, fanden wir fast immer die richtige Lösung.

ÜBER DEN AUTOR
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Steffan Heuer lebt in Berlin und Kalifornien. Seit mehr als zwei Jahrzehnten schreibt er über Technologie, Wirtschaft und Kultur des Silicon Valley, unter anderem für The Economist, die MIT Technology Review und brandeins.
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Veröffentlicht Mai 2025. Vorhanden in
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