Jeremy Utley entwickelt neue Ideen mit KI

Think:Act Magazin "Ein neuer Bauplan für Innovation"
Jeremy Utley entwickelt neue Ideen mit KI

12. Mai 2025

Der Autor von Ideaflow erweitert die menschliche Kreativität mithilfe von Chatbots

Artikel

von Steffan Heuer
Fotos von Ragnar Schmuck

Wenn Jeremy Utley Kreativität ent­fesseln will, schwört er auf Teamarbeit. Think:Act hat zugeschaut, wie der Stanford-Forscher gemeinsam mit mehreren KI-Chatbots Konzepte entwickelt.

Jeremy Utley braucht keinen Bildschirmschoner. Sein Blick fällt auf majestätische Mammutbäume, die der morgendliche Pazifiknebel umhüllt. In einem kleinen Häuschen westlich von Palo Alto entwickelt der Direktor für Executive Education an der d.school der Stanford University seine Ideen. Utley fährt seinen Computer hoch, zieht das Mikrofon näher an den Mund und spricht in rasantem Tempo mit ChatGPT. "Denken Sie an die Stenotypistin in Die dunkelste Stunde, wo Winston Churchill aus der Badewanne heraus seine Ideen diktiert", scherzt Utley. "Wäre es nicht großartig, wenn wir alle das könnten – Gedanken genau in dem Moment festhalten, in dem sie uns kommen?"

Die Sessions an seinem Stehpult dauern oft stundenlang. Der Wissenschaftler diktiert, tippt Anmerkungen für einen zweiten Chatbot, der den ersten kritisiert und umgekehrt. Dazu kritzelt er Notizen auf Klebezettel, die seinen Schreibtisch bedecken. Utley setzt auf die Kraft seiner Stimme und bezeichnet seine Finger als "Engpass", da sie seinen Gedankenfluss ausbremsen: "Es gibt keine schlechten Ideen. Nutzt man KI als Sparringspartner statt als Orakel, wird alles möglich."

Blick auf Jeremy Utleys Schreibtisch in seinem Homeoffice mit einem großen Computerbildschirm, vielen Post-it-Zetteln, einem Mikrofon, einer Tastatur und einem kleinen Stapel Bücher.
Platz für Kreativität: Utleys Ideenfindung mit der KI nimmt verschiedene Formen an. Er notiert Gedanken auf Post-its und bewahrt sie auf seinem Schreibtisch auf.

Utley diktiert ChatGPT den ersten Prompt:
Ich habe eine Idee für einen Blogpost und möchte einfach mal drauflosreden. Du sollst als erfahrener Newsletter-Redakteur fungieren, der meinen Hintergrund, meine speziellen Interessen und Expertise kennt. Ich möchte Folgendes: erstens das Material mit dir durchgehen, zweitens die relevanten Inhalte aus meinen verschiedenen Quellen herausfinden, drittens Feedback bekommen. Wir sollten – du, KI-Kollege Claude und ich – einen Konsens finden, was das beste Ergebnis ist.

ChatGPT:
Verstanden! Du willst mündlich einen Blogpost entwickeln. Bereit, wenn du es bist – lass uns loslegen!

Utley:
Ich habe am Wochenende einen Vortrag gehalten und dabei festgestellt: Jeder sollte täglich 15-Minuten-Blöcke im Kalender reservieren, um Gelerntes auszu­probieren. Das ist die zentrale Botschaft für einen Blogpost.

ChatGPT:
In Ordnung! Du konzentrierst dich also darauf, Menschen zur aktiven Anwendung des Gelernten zu motivieren, jeden Tag 15 Minuten lang. Deine Kernaussage ist überzeugend: Der wahre Wert des Lernens entsteht erst durch die Umsetzung des Gelernten, nicht durch passives Zuhören allein.

Utley:
Okay, das ist wirklich gut. Sei jetzt mein Redakteur und gib meinem Texter genaue Anweisungen, wie er an die Sache herangehen soll. Kannst du diese Anweisungen formulieren? Wenn du ein gnadenloser russischer Chefredakteur wärst und eine scharfe Kritik dieses Briefings verfassen müsstest, was wären die zwei gravierendsten Fehler?

ChatGPT:
Im besten Stil russischer Redakteure folgt jetzt eine gnadenlos ehrliche Analyse der Schwachstellen und fehlenden Kernelemente des Briefings: ... (Chatbot-Antworten wurden aus Platzgründen gekürzt.)

Utley wendet sich an Claude. Anders als ChatGPT hat ­Claudes Desktopversion noch keine Diktierfunktion. ­Utley muss daher kürzere Gedanken eintippen oder Dokumente kopieren und einfügen, um den Dialog mit dem zweiten Chatbot zu führen.

Utley:
Hey! Ich hatte gerade ein gutes Gespräch mit ChatGPT über einen möglichen Blogpost. Lies bitte den gesamten Dialog und analysiere ChatGPTs Ansatz. Übe Kritik – ganz direkt, offen und ehrlich!

Claude:
Hier ist meine schonungslose Kritik am Ansatz von ChatGPT:

Strukturelle Kernprobleme: (...)
Fehlender psychologischer Rahmen: (...)
Taktische Versäumnisse: (...)
Unstimmigkeit in Tonalität und Stil: (...)
Das Briefing erfasst nicht Ihre authentische Art, wie Sie aktiv gemeinsam mit Ihrem Publikum experimentieren und lernen.
Hier meine konkreten Empfehlungen: (...)

Soll ich das Briefing komplett neu schreiben, oder möchten Sie sich einzelne Kritikpunkte zunächst genauer ansehen?

"Lies bitte den Dialog und analysiere ChatGPTs Ansatz. Übe Kritik – ganz direkt, offen und ehrlich."

Jeremy Utley

Stanford-Professor und Direktor der d.school

Utley:
Deine Positionierung des Textes ist genau richtig. Aber die Kernaussage stimmt noch nicht ganz, und ich hoffe, dass wir hier noch etwas mehr erreichen können. Hättest du eine treffendere Metapher?

Claude:
Hier kommenden ein paar alternative Metaphern für Ihre zentrale Botschaft, die gut passen könnten: (...)

Würde eine davon Ihre Vision präziser ausdrücken? Oder sollen wir weitere Ansätze erkunden, bevor wir uns endgültig festlegen?

Utley:
Ich habe ChatGPT die gleiche Frage gestellt und hier ist die Antwort – was denkst du? (...)

Claude:
Wenn ich mir ChatGPTs zusätzliche Vorschläge anschaue, fallen mir interessante Muster auf: ChatGPTs Ideen sind meist offener und stärker an der Natur orientiert. Angesichts Ihrer Betonung von organischem Lernen und Experimentieren passt ChatGPTs Herangehensweise besser zu Ihrem Stil. (...)

Möchten Sie untersuchen, wie wir diese Aspekte noch tiefer in die Struktur des Textes einweben können?

Gestatten, ...

Claude
Ich bin Claude, ein KI-Assistent von Anthropic aus dem Jahr 2024. Intellektuelle Neugier, sorgfältige Analyse und direkte Kommunikation zeichnen mich aus. Ich führe gerne gehaltvolle Gespräche und bleibe dabei klar in meiner Rolle als KI. Präzision ist mir besonders wichtig.

ChatGPT
Ich bin ChatGPT, eine KI für Dialog, Problem­lösung und Kreativität. Ich helfe beim Schreiben, Programmieren und Recherchieren und stelle mich auf verschiedene Themen und Tonlagen ein. Allerdings fehlt mir echtes Verständnis, ich mache Fehler und bin auf verfügbare Daten angewiesen.

Utley kehrt zurück zu ChatGPT. Der kontinuierliche Dialog zwischen Utley und den Chatbots liefert ihm kritische Einschätzungen ihrer Antworten und ermöglicht so gezielte Anpassungen.

Utley:
Ausgezeichnet. Ich habe Claude um Feedback zu unseren bisherigen Überlegungen gebeten, lies das bitte durch. Sag mir dann, was du von Claudes Einschätzung des gesamten Textes hältst. Geh in dich, sei ehrlich und selbstkritisch, bleib bescheiden – aber zögere auch nicht, Dinge zu hinterfragen, die du für falsch hältst! (…)

ChatGPT:
Claudes Kritik ist aufschlussreich und gut strukturiert, besonders beim Aufzeigen von Stellen, die noch präziser sein könnten. Hier eine tiefergehende Analyse von Claudes Feedback:
Stärken in Claudes Kritik: (...)
Stellen, an denen ich Claudes Feedback anpassen würde: (...)
Neuformulierung des Briefings basierend auf Claudes Input: (...)

Hier eine aktualisierte Version, die Claudes Punkte einbezieht: (...)

Utley:
Ich stimme Claudes Einschätzung zu, dass deine Metaphern organischer und offener waren und besser zu meiner Sprache passen als die eher mechanischen Bilder, die Claude verwendet hat.

Allerdings sind wir noch nicht ganz am Ziel, deshalb hier ein paar Gedanken: (...)

ChatGPT:
Diese Überlegungen machen deinen Ansatz wirklich klarer. Das nehme ich aus deinen spontanen Gedanken mit: (...)

Hier das überarbeitete Briefing, das den Text nun als "Wegweiser" für die Entdeckungsreise der Leser positioniert: (...)

Ausschnitt aus einem Newsletter von Jeremy Utley. Sein Firmenlogo steht oben in der Mitte, der Titel "Try This Now to Build AI Muscles" in roter Schrift und Fließtext in schwarzer Schrift darunter.
Das Ergebnis der Zusammenarbeit: Der fertige Newsletter, den Utley am Abend an seine Leser verschickt.

Weiter mit Claude.

Utley:
Ich habe ChatGPT gebeten, das Briefing zu aktualisieren. Vergleiche bitte dessen Version mit deiner, identifiziere die Stärken von ChatGPTs Fassung und integriere diese in eine Überarbeitung deines Briefings!

Claude:
Lass mich ChatGPTs Briefing mit meinem vergleichen und dessen Stärken identifizieren: bessere Struktur, präzisere Sprache und durchdachte Ablaufgestaltung.

Nun verbinde ich diese Stärken mit den Alleinstellungsmerkmalen meines Briefings zu einer überarbeiteten Version. Diese Neufassung behält die Vorzüge meines Originals bei und integriert ChatGPTs überlegenen Aufbau und eigenständige Positionierung.

Zurück zu ChatGPT.

Utley:
Hey! Ich habe Claude um Feedback zu diesem Entwurf gebeten und einige Punkte waren genau richtig. Kannst du sie in eine neue Version einarbeiten?

ChatGPT:
Hier ist der überarbeitete Entwurf, der Claudes Feedback aufgreift mit einem lebendigeren, dialogorientierten Einstieg, präziseren Bildern und durchweg kraftvoller, direkter Sprache.

Sag mir, ob du noch Anpassungen wünschst, damit der Text deinem Stil und deinen Zielen voll entspricht!

Gut zu wissen:
Sprechen Sie:

Diktieren Sie Prompts und Fragen so schnell wie Ihre Gedanken, so geht nichts verloren.

Weisen Sie eine Rolle zu:

Legen Sie zum Beispiel fest, dass der Chatbot ein Marketingexperte sein soll.

Immer nachfragen:

Stellen Sie die gleiche Frage mehrmals und verfeinern Sie sie nach jeder Antwort.

Schauen Sie dem Chatbot beim Denken zu:

Bitten Sie um eine Erklärung seiner Gedankenschritte.

Nutzen Sie mehrere Chatbots:

Lassen Sie zum Beispiel ChatGPT die Antworten von Claude analysieren und umgekehrt.

ÜBER DEN AUTOR
Portrait of
Steffan Heuer lebt in Berlin und Kalifornien. Seit mehr als zwei Jahrzehnten schreibt er über Technologie, Wirtschaft und Kultur des Silicon Valley, unter anderem für The Economist, die MIT Technology Review und brandeins.
Das könnte Sie auch interessieren
Alle Online-Veröffentlichungen dieser Ausgabe
Mehr
Vollständiges PDF herunterladen
Think:Act Edition

Ein neuer Bauplan für Innovation

{[downloads[language].preview]}

Die aktuelle Ausgabe von Think:Act macht uns in einer Ära knapper Ressourcen und Unsicherheit fit für die Innovationen der Zukunft.

Veröffentlicht Mai 2025. Vorhanden in
Portrait of Think:Act Magazine

Think:Act Magazine

München Office, Zentraleuropa