Aviation's Roadmap to True Zero
Roland Berger’s Aviation´s Roadmap to True Zero sets out a sustainable approach to eliminate climate effects from air travel.
von Geoff Poulton
Die Luftfahrt steckt in einem Dilemma: Steigende Passagierzahlen treffen auf einen wachsenden Druck beim Klimaschutz. Airlines müssen ihr Wachstum mit Technologien erreichen, die Netto-Null-Emissionen ermöglichen.
Die Luftfahrt steht beim Klimaschutz vor enormen Herausforderungen. Das wurde im September 2024 bei der Präsentation des elektrischen Demonstrationsflugzeugs X1 des schwedischen Start-ups Heart Aerospace erneut deutlich: "Der Innovationszyklus in unserer Branche beträgt 30 Jahre, für die Dekarbonisierung bleiben uns weniger als 25", warnte Mitgründer Anders Forslund.
Heart Aerospace will mit dem X1, dem derzeit größten Elektroflugzeug der Welt, neue Maßstäbe setzen. Die Testflüge sollen Ende dieses Jahres beginnen, der Markteintritt des kommerziellen Modells ES-30 ist für das Jahr 2028 geplant. Mit einer Kapazität von nur 30 Passagieren und einer rein elektrischen Reichweite von 200 Kilometern wird es jedoch kaum dazu beitragen, den rapide wachsenden CO₂-Ausstoß des Flugverkehrs maßgeblich zu verringern. Genau hier liegt das Dilemma der Luftfahrt.
5 Bio. US-Dollar: Schätzung der Investitionen für die Luftfahrt, um bis 2050 das Ziel Netto-Null-Emissionen zu erreichen.
Quelle: International Council on Clean Transportation
Rund 2,5 % der globalen CO₂-Emissionen entstammen heute dem Flugverkehr. Zwar senken moderne Flugzeugkonstruktionen den Treibstoffverbrauch um bis zu 30 %. Das Grundproblem der fossilen Antriebstechnologie bleibt dennoch bestehen: Pro Kopf setzt kaum eine andere gesellschaftliche Aktivität so viel Kohlenstoff frei wie das Fliegen. Ein Langstreckenflug verursacht pro Person mehr Emissionen als viele Menschen in einem ganzen Jahr in ihrem Alltag. Dabei belasten nicht nur die CO₂-Emissionen die Klimabilanz der Luftfahrt, auch die Kondensstreifen aus den Triebwerken tragen erheblich zur Erderwärmung bei.
Die Marktentwicklung verschärft diese Herausforderung zusätzlich: Während bislang nur etwa 10 % der Weltbevölkerung überhaupt Flugzeuge nutzen, prognostizieren Experten ein jährliches Wachstum von fast 4 % im Passagier- und Frachtverkehr für die kommenden zwei Jahrzehnte. Konkret bedeutet dies über vier Milliarden zusätzliche Flugreisen im Jahr 2043 verglichen mit 2023, mehr als die Hälfte davon voraussichtlich im asiatisch-pazifischen Raum.
Die Luftfahrtindustrie hat reagiert und will bis 2050 klimaneutral fliegen. Dafür sind Milliarden-Investitionen in neue Flugzeuge, nachhaltige Treibstoffe, alternative Antriebe und moderne Infrastruktur nötig. Allerdings dauert es, wie Forslund unterstreicht, in der Luftfahrtbranche oft Jahrzehnte, bis sich Innovationen durchsetzen. Ein neuer Bericht der Cambridge University kommt zu dem Schluss, dass die Branche beim Klimaschutz "weit hinter ihren Zielen zurück" liege.
Steven Barrett, Professor für Ingenieurwissenschaften an der Cambridge University und ehemaliger Leiter der Abteilung für Luftfahrt am MIT, ist dennoch der Ansicht, dass die Luftfahrt in den vergangenen Jahren bereits erhebliche Fortschritte gemacht hat. Zwar sei der Weg zur Klimaneutralität noch weit. "Die meisten Fluggesellschaften haben sich inzwischen jedoch ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele gesetzt", sagt Barrett. Aber die Fluggesellschaften können den Wandel auch nur bedingt voranbringen. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, alle relevanten Akteure – von Herstellern und politischen Entscheidungsträgern bis hin zu Investoren – an einen Tisch zu bringen, um gemeinsam technische, infrastrukturelle und finanzielle Hürden aus dem Weg zu räumen.
Im Folgenden werden die Fortschritte der Branche in zentralen Nachhaltigkeitsbereichen analysiert, bestehende Herausforderungen aufgezeigt und wegweisende Durchbrüche skizziert.
Sogenannte SAF (Sustainable Aviation Fuels) lassen sich aus erneuerbaren Rohstoffen wie Altspeiseölen, Fetten, Pflanzenölen sowie Abfällen aus Kommunen, Landwirtschaft und Forstwirtschaft herstellen. Verglichen mit herkömmlichem Kerosin reduzieren sie die CO₂-Emissionen um rund 80 %. Vorschriften erlauben Airlines bislang nur eine SAF-Beimischung von maximal 50 %, obwohl die meisten modernen Flugzeuge auch mit 100 % SAF fliegen könnten. Schon 2023 absolvierte Virgin Atlantic den ersten Transatlantikflug mit einer Boeing 787 von London nach New York, die ausschließlich mit Treibstoff aus Abfallfetten und Pflanzenzucker betrieben wurde.
Doch die vielversprechende Technologie scheitert bislang an dem knappen Angebot und den hohen Kosten. 2023 machten nachhaltige Flugkraftstoffe nur 0,2 % des weltweit verbrauchten Kerosins aus. Neue Regulierungen sollen Abhilfe schaffen: Die EU hat für 2025 eine verbindliche Quote von 2 % für alternative Treibstoffe eingeführt, die bis 2030 auf 6 % steigen soll. In Großbritannien soll der Anteil bis 2030 auf 10 % erhöht werden. Allerdings sind die Kosten für Biokraftstoffe und synthetische Treibstoffe derzeit drei- bis fünfmal so hoch wie die von fossilem Kerosin. Barrett sieht zwar Chancen für eine Kostenreduktion, doch die Rohstoffpreise dürften hoch bleiben: "Die Luftfahrt kann höhere Treibstoffkosten verkraften. Das eigentliche Problem ist aber die Finanzierung der Produktionsanlagen. Es fehlt an langfristiger Planungssicherheit für die nötigen Investitionen."
"Das sind alles gute Ansätze. Aber eine neue Technologie braucht 30 Jahre, bis sie sich in der gesamten Flotte durchgesetzt hat."
Alternative Kraftstoffe dürften die Klimabilanz der Luftfahrt zwar langfristig spürbar verbessern, aber erst neue Antriebe könnten das Fliegen klimaneutral machen. Ob mit Wasserstoff oder Elektrobatterien betrieben, beide Technologien stehen noch vor gewaltigen technischen Herausforderungen. Batterien liefern im Verhältnis zu ihrem Gewicht noch zu wenig Energie für große Flugzeuge und lange Strecken. Ohne technische Durchbrüche bleiben sie auf kleine Regionalmaschinen beschränkt. Wasserstoff wiederum braucht viel Platz und damit große Tanks. Komprimierung oder Verflüssigung hilft zwar, trotzdem bleibt die Energiedichte geringer als bei konventionellem Treibstoff. Hinzu kommt die Produktion: Derzeit wird Wasserstoff überwiegend mit fossilen Brennstoffen hergestellt, grüner Wasserstoff aus erneuerbaren Energien ist teuer und kaum verfügbar. Für beide Technologien müssten Flughäfen zudem ihre gesamte Infrastruktur zur Betankung umrüsten.
Die Industrie treibt die Entwicklung trotz der Widerstände mit Hochdruck voran. Airbus setzt auf Wasserstoff und will bis 2035 das erste kommerzielle Wasserstoff-Flugzeug auf den Markt bringen. Das US-britische Start-up ZeroAvia plant bereits für das Jahr 2027 mit wasserstoff-elektrischen Triebwerken für Flugzeuge mit 40 bis 80 Sitzen und 1.100 Kilometern Reichweite. "Das sind alles gute Ansätze", sagt Barrett. "Aber eine neue Technologie braucht 30 Jahre, bis sie sich in der gesamten Flotte durchgesetzt hat." Noch deutlicher wird Boeing-Vizechef Chris Raymond: Es sei "rechnerisch unmöglich, die weltweite Flotte rechtzeitig durch Wasserstoff-Flugzeuge zu ersetzen, um das Branchenziel bis 2050 zu erreichen."
Die aktuelle Flugzeuggeneration ist dank leichterer Materialien, besserer Triebwerke und aerodynamischer Designs bereits rund 80 % energieeffizienter als ihre Vorgänger vor 50 Jahren. Im Bereich der Konstruktion sind künftig nur noch kleine Verbesserungen möglich. Deshalb konzentrieren sich die Hersteller jetzt verstärkt auf die fundamentalen Herausforderungen bei Treibstoff und Antrieb. Parallel dazu läuft die Forschung auf verschiedenen anderen Feldern weiter.
Boeing entwickelt mit der NASA eine neuartige Tragfläche mit Verstrebungen, die länger und dünner ist als bisherige Modelle. Nach ersten Tests des X-66 sinkt der Treibstoffverbrauch um 9 %. Mit weiteren Verbesserungen bei Material, Antrieb und Systemarchitektur hofft Boeing auf bis zu 30 % Einsparung. Die ersten Testflüge sind für 2028 geplant.
Besonders revolutionär: Das "Blended Wing Body"-Konzept, bei dem die Flügel mit dem Rumpf verschmolzen sind. Gemeinsam mit dem US-Start-up JetZero plant EasyJet, damit den Treibstoffverbrauch zu halbieren. Parallel entwickeln General Electric und der französische Luftfahrtkonzern Safran einen "Open-Fan"-Motor. Dessen größerer Rotor ohne Verkleidung soll den Treibstoffverbrauch und damit den CO₂-Ausstoß um 20 % senken. Nach erfolgreichen Bodentests sind Flugversuche noch für dieses Jahrzehnt geplant.
Während Flugrouten noch immer einem jahrzehntealten System folgen, eröffnen moderne Satellitenbilder und KI neue Möglichkeiten. Besonders vielversprechend erscheint die gezielte Vermeidung von Kondensstreifen. Durch eine gezielte Anpassung der Flughöhe lässt sich ihre Bildung in bestimmten Luftkorridoren drastisch reduzieren. Präzise Modelle und Vorhersagen könnten Airlines eine klimaoptimierte Routenplanung ermöglichen. Die Wirksamkeit des Ansatzes bestätigte ein Forschungsteam um Google und American Airlines: Testflüge unter Einsatz von Satellitenbildern, Wetterdaten und KI-Tools reduzierten die Kondensstreifenbildung um 54 %.
Dabei fallen die Kosten moderat aus: Derartige Routenanpassungen würden laut einer Studie ein Ticket von Paris nach New York nur um vier Euro verteuern. Barrett sieht darin die vielversprechendste kurzfristige Lösung: "Es gibt zwar noch einige technische Herausforderungen zu lösen, aber das scheint mir der günstigste und schnellste Weg, um den Einfluss des Flugverkehrs auf das Klima zu verringern."
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