Innovationen für eine ungewisse Zukunft

Think:Act Magazin "Ein neuer Bauplan für Innovation"
Innovationen für eine ungewisse Zukunft

11. Mai 2025

Neue Ideen trotz knapper Kassen: Kreativität kultivieren in unsicheren Zeiten

Interview

von Michal Lev-Ram and Stefan Stern
Illustrationen von Simon Landrein

Innovieren oder untergehen: diese Einsicht gilt noch immer. Wie aber gelingen Unternehmen bahnbrechende Innovationen in turbulenten Zeiten? Firmenkultur, externe Impulse und klassische F&E schaffen die Basis für eine erfolgreiche Strategie.

Manche Umbrüche sind willkommen, andere weniger. In turbulenten Zeiten müssen Unternehmen flexibel bleiben und schnell reagieren. Innovationen sind deshalb wichtiger denn je. Neue Technologien treiben den Fortschritt voran und ermöglichen neue Produkte sowie effizientere Prozesse. Zugleich bremsen Herausforderungen wie die Wachstumsschwäche und geopolitische Unsicherheiten die Wirtschaft aus.

Die Illustration von Simon Landrein zeigt eine Person, die durch ein großes Teleskop schaut. Der Hintergrund ist blau mit weißen Gitternetzlinien.

Bewährte Innovationsstrategien stoßen heute an ihre Grenzen. Welche Ansätze führen zum Erfolg? Wie lassen sich Investitionen in neue Technologien sinnvoll gestalten? Und gibt es eine universelle Erfolgsformel? "Die Art und Weise, wie wir über Innovation denken, hat sich in den letzten Dekaden verändert", sagt Paul Nightingale, Professor für Strategie an der University of Sussex Business School. "Früher glaubten wir, Innovation entstehe durch Forschung und Entwicklung (F&E). In den 1950er-Jahren traf das auch zu, denn es gab damals wenig Wettbewerb, bahnbrechende Erfindungen wie Kunststoffe oder Antibiotika kamen direkt aus der Forschung." Doch heute reiche klassische F&E nicht mehr aus. "In jüngerer Zeit haben wir erkannt, dass der Schlüssel zum Erfolg in einem tiefen Verständnis der Nutzerbedürfnisse liegt", sagt Nightingale. "Der entscheidende Faktor ist nicht nur wissenschaftliche Exzellenz, sondern die Fähigkeit, den Menschen das zu geben, was sie wirklich brauchen. Bei Innovationen geht es deshalb nicht nur um Forschung und Entwicklung – es geht um Design."

Selbst forschungsstarke Konzerne benötigen inzwischen externe Partner, weil internes Know-how nicht mehr ausreicht. Der Pharmakonzern GSK etwa kann nur einen kleinen Teil seiner relevanten Forschung intern abdecken. Der Austausch mit externen Partnern ist sehr wichtig. Forschung und Entwicklung dienen heute nicht mehr nur der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen, sondern auch dazu, externe Forschungsergebnisse im Unternehmen selbst besser bewerten zu können.

4x Rendite: So stark können öffentliche Investitionen in F&E laut einer Studie von 2024 langfristig F&E-Ausgaben der Privatwirtschaft anregen.

Quelle: The National Centre for Universities and Business, UK

Die Existenz vieler Unternehmen steht auf dem Spiel, und einige Experten sehen sogar den technologischen Fortschritt in Gefahr. Wie müssen wir Innovation neu denken? Jaideep Prabhu, Professor an der Judge Business School der University of Cambridge, plädiert für eine nuanciertere Betrachtung der Zusammenarbeit von Wirtschaft und Staat bei Innovationen. "Nach dem Krieg herrschte die Auffassung, dass der Staat massiv in Forschung, Verteidigung und andere strategische Bereiche investieren müsse, um langfristig auch die Privatwirtschaft zu stärken", erklärt Prabhu. "Doch in den 1980er- und 1990er-Jahren kehrte sich dieses Paradigma um. Der Staat zog sich zurück und überließ Innovation weitgehend dem Markt. Bis heute prägt dieses Denken die westliche Welt, und unter Trump hat sich dieser Trend in den USA sogar noch verstärkt."

Es gibt jedoch einen dritten Weg, so Prabhu, bei dem Staat und Privatwirtschaft partnerschaftlich agieren: ohne Dominanz, aber mit klaren Leitplanken. "Der Staat sollte gezielt eingreifen, wenn nötig, und faire Wettbewerbsbedingungen schaffen, statt Großkonzerne zu bevorzugen. Sonst drohen Monopole."

Ein bekanntes Beispiel für erfolgreiche Innovation sind die Post-it-Haftnotizen von 3M. Sie entstanden aus einer zufälligen Entdeckung und einer ebenso unerwarteten Anwendung: Ein 3M-Wissenschaftler suchte nach einer Lösung für seine ständig verrutschenden Lesezeichen und erinnerte sich an einen Haftkleber, den ein Kollege entwickelt hatte – bislang jedoch ohne eine Anwendung dafür zu finden. Im Austausch erkannten die beiden das Potenzial und schufen ein Produkt, das zunächst niemand vermisste, heute aber jedes Jahr über 50 Milliarden Mal verkauft wird.

1. Die Kunst der Innovation

Ideen entstehen in Freiheit, doch erst gutes Management lässt sie in Unternehmen gedeihen.

Der Legende nach basierte die Erfindung der Post-its nicht auf dem eigentlichen Klebstoff der Haftnotizen. Vielmehr war es ein Klebstoff im übertragenen Sinne, nämlich der Kitt der innovationsfreudigen 3M-Unternehmenskultur, der den Durchbruch brachte: Spontane, informelle Erfindungen wurden gefördert statt behindert. Andere Unternehmen wie Google mit seiner "Nebenprojektzeit" haben diese Kultur übernommen und geben ihren Mitarbeitern Zeit und Raum zum Tüfteln abseits ihrer alltäglichen Aufgaben. Doch am wichtigsten menschlichen Faktor führt kein Weg vorbei: Innovationsprozesse müssen gemanagt werden.

Wie Paul Nightingale erläutert, geht es auch darum, Werte zu erschließen: "Diese Idee stammt von David Teece aus Berkeley", sagt er. "Viele Unternehmen innovieren, können sich aber die Vorteile nicht zunutze machen, andere Firmen kopieren sie dann. Diese beiden Aspekte, Werte schaffen und Werte erschließen, definieren das Geschäftsmodell eines Unternehmens. All das erfordert Management und Koordination. Typischerweise verantworten Nachwuchsmanager das Wissen innerhalb ihres Bereichs. Manager der mittleren Ebene vernetzen die Abteilungen. Und Topmanager bauen Beziehungen auf, initiieren Joint Ventures und erschließen Innovationsquellen. Zudem müssen sie eine Kultur entwickeln, die Innovationen im gesamten Unternehmen vorantreibt." Nightingale führt weiter aus: "Innovationen bringen Gewinner und Verlierer in Unternehmen hervor. Zu viel Bürokratie und interne Machtkämpfe können sie ersticken. Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren sind handlungsstarke Projektmanager, die grundlegende Veränderungen auch gegen Widerstände durchsetzen – eine Herausforderung, die Unternehmen und ganzen Branchen oft schwerfällt."

Nightingale weist auf einen weiteren Punkt hin: "Innovation ist unvorhersehbar. Bei der zugrunde liegenden Technologie spielt die klassische Wissenskomponente immer eine große Rolle. Wissen wird von Mensch zu Mensch weitergegeben. Dabei sind Ermessensentscheidungen von grundlegender Bedeutung. Innovation findet heute überall statt – im Unternehmen und zunehmend auch außerhalb. Das bedeutet, dass soziale Kompetenzen immer wichtiger werden", sagt Nightingale.

Frugale Innovation

Entwicklungsländer kennen seit Jahrzehnten ein Geheimnis: mehr mit weniger erreichen.

“Wie MacGyver, die Kultfigur aus der gleichnamigen TV-Serie, finden neue Akteure in Schwellenländern kreative Wege, vorhandene Dinge neu zu nutzen", sagt ­Navi ­Radjou, Innovationsexperte sowie Autor mehrerer Bücher über ressourcenschonende Innovationen. "Sie improvisieren einfach mit dem, was sie in ihrer Umgebung vorfinden – und erzielen damit erstaunliche Ergebnisse."

Diese Art der Innovation war früher auf Schwellenländer beschränkt, doch inzwischen greifen auch westliche Unternehmen darauf zurück, berichtet Radjou. Denn auch in Industrieländern werden Ressourcen wie Wasser, Strom und Kapital knapper. "Statt über Ressourcenmangel zu klagen, lehrt uns diese Art der Innovation, wie im Kampfsport zu denken: Wie verwandelt man Widrigkeiten in Chancen?", erklärt er.

Ein indischer Bauer etwa entwickelte einen Kühlschrank aus Ton. Der leistet dasselbe wie sein westliches Pendant, ist aber günstiger und kommt ohne Strom aus. Solche Beispiele häufen sich auch im Westen. Siemens hat aus seinen Erfahrungen in Indien und China gelernt und setzt mittlerweile auf kostengünstige Lösungen. Der Konzern entwickelte Computertomographen, die mit weniger Energie auskommen und dennoch leistungsfähig bleiben. Renault nutzt seine Erfahrungen aus Schwellenländern und baut preiswerte E-Autos für den Weltmarkt.

Der Cambridge-Professor Jaideep Prabhu untersuchte das indische ID-System, das 700 Millionen Menschen in nur wenigen Jahren eine sichere digitale Identität für Sozialleistungen und Online-Banking verschaffte – und das für nur einen US-Dollar pro Person: ein gutes Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft sowie für die Fähigkeit, mit knappen Ressourcen effizient zu wirtschaften. Auch in den USA wächst das Interesse an frugaler Innovation, sagt Radjou. Ein Teil davon ist natürlich profitorientiert, weil die Rendite steigt. Doch er erwartet, dass das Interesse aus weiteren Gründen zunimmt. In einer Welt mit Ressourcenengpässen wird Sparsamkeit wichtiger: Statt Verschwendung wird in Zukunft Sparsamkeit immer mehr zum Maßstab für wirtschaftlichen Erfolg.

Navi Radjou ist Wissenschaftler und Führungsexperte. Jaideep Prabhu ist Professor of Business and Enterprise an der Judge Business School der University of Cambridge. Gemeinsam mit Simone Ahuja sind sie Co-Autoren des 2012 erschienenen Bestsellers Jugaad Innovation: A Frugal and Flexible Approach to Innovation for the 21st Century.

2. KI-Getriebene Innovation

KI-Entwickler bauen einen neuen Werkzeugkasten für Innovatoren. Doch ohne menschliches Know-how bleibt er nutzlos.

Altbewährte Methoden stoßen an ihre Grenzen. Zum Glück stehen neue Werkzeuge bereit: Digitalisierung, Automatisierung und KI sind für Unilever, den Hersteller von Lebensmitteln, Haushalts- und Körperpflegeprodukten, nichts Neues. Doch in den letzten Jahren hat sich die Art, wie der Konzern Technologie nutzt, fundamental verändert. Anstatt nur interne Betriebsabläufe zu optimieren, arbeitet KI nun auch vorausschauend und wertschöpfend bei der Entwicklung neuer Produkte mit. "KI erweitert unseren Werkzeugkasten als Produktentwickler erheblich", sagt Manfred Aben, Leiter für F&E, Wissenschaft und Technologie in Unilevers Ernährungssparte.

Bei Unilever bestimmt eine KI die optimale Zutatenmischung und sagt sogar Geschmack und Konsistenz neuer Mayonnaisen voraus – einschließlich einer pflanzlichen Rezeptur für leichteres Dosieren. "Früher entwickelten wir alles durch Versuch und Irrtum mit Köchen", sagt Aben. "Das tun wir noch immer, nutzen aber zusätzlich diese Werkzeuge, um Zutaten und neue Verarbeitungsmethoden zu finden."

Ein weiteres Beispiel: Als Unilever Suppenwürfel ohne Salz entwickeln wollte, setzte das Unternehmen auch auf KI. Die Herausforderung lag nicht nur im Geschmack, sondern auch in der Konsistenz. "Einen Würfel ohne Salz herzustellen ist wie ein Haus ohne Ziegel zu bauen", sagt Aben. Anstatt durch Ausprobieren verschiedene Zutatenkombinationen zu testen, simulierte der Konsumgüterhersteller mithilfe des neuen KI-Tools Geschmacks- und Konsistenzvarianten mit mehreren Millionen verschiedenen natürlichen Zutaten. Die neue Rezeptur bleibt unter Verschluss, aber sie funktioniert, versichert der erfahrene Forscher. Und die kleinen Geschmackskonzentrate bedeuten auch ein großes Geschäft: Knorr, Unilevers Marke für Fertigsuppen, knackte kürzlich die Marke von fünf Milliarden US-Dollar Jahresumsatz.

Die jüngsten Turbulenzen an den Weltmärkten machen KI laut Aben zu einem noch wertvolleren kreativen Partner für Mitarbeiter. Zahlreiche Faktoren beeinflussen heute die Entwicklung neuer Produktlinien. Bei einem Konzern wie ­Unilever, der auf natürliche Inhaltsstoffe wie Kräuter, Gewürze und Gemüse setzt, führen unvorhersehbare und unkontrollierbare Veränderungen – einschließlich geopolitischer Konflikte – oft zu Produktionsstörungen. "Die Rolle des Produktentwicklers wird sich grundlegend verändern, und KI eröffnet uns völlig neue Möglichkeiten in der Lebensmittelentwicklung", erklärt Aben. "Sie wird Zutatenkombinationen schaffen, auf die wir selbst nicht kommen würden."

Nightingale erkennt das Innovationspotenzial der KI an, warnt jedoch vor überzogenen Erwartungen: "KI wird vieles verändern", betont er. "Doch letztlich gibt sie meist nur den Durchschnitt des Internets wieder – und das allein reicht nicht. Expertise ist unerlässlich. KI ist ein Werkzeug, eine Ergänzung, aber kein Ersatz. Man kann sie sich wie einen äußerst fleißigen und durchaus klugen Rechercheassistenten vorstellen, der jedoch gelegentlich als pathologischer Lügner entlarvt wird. Es braucht erhebliche Fachkenntnis, um zu erkennen, wann sie vermeintliche Fakten erfindet. Doch wer dieses Know-how besitzt und die KI gezielt einsetzt, kann deutlich bessere Ergebnisse erzielen."

500 Projekte: So viele Anwendungen hat ­Unilever inzwischen für KI als unterstützendes Entwicklungs­tool für die Mit­arbeiter im Unter­nehmen gefunden.

Quelle: Unilever

Technologie steht nicht mehr nur den Experten zur Verfügung. Vereinfachte Entwicklungswerkzeuge, mit denen man ohne Programmierkenntnisse Anwendungen erstellen kann, sind grundsätzlich jedem zugänglich. Doch selbst wenn diese Software immer benutzerfreundlicher wird, setzt ihr effektiver Einsatz eine gewisse Vertrautheit mit den Werkzeugen und eine neue Form der Zusammenarbeit voraus. "Der isolierte Spezialist hat ausgedient", sagt Aben und verweist auf die Möglichkeiten, die KI allen Mitarbeitern eröffnet: "Heute steht fast jeder in irgendeiner Form mit diesen Systemen in Verbindung." Bei Unilever betrifft das alle Beschäftigten, vom IT-Experten bis hin zum Aromaforscher. In dem Unternehmen sind heute mehr als 500 KI-Anwendungen im Einsatz.

Unilever ist längst nicht das einzige Unternehmen, das KI einsetzt, um kreative Prozesse gezielt zu erweitern. Immer mehr Unternehmen erforschen, wie die KI ihre Mitarbeiter bei Innovationen und kreativen Aufgaben unterstützen kann. Dabei entsteht eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Dennoch bleiben bewährte analoge Methoden aus der realen Welt unverzichtbar.

Kreativer innovieren

Die Prozesse, durch die Innovationen entstehen, sind ebenso vielfältig wie die Ergebnisse, die sie hervorbringen.

Eine Patentlösung für Innovationen gibt es nicht. Genauso vielfältig wie Innovationen selbst sind die Wege dorthin. Welcher Ansatz der richtige ist, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Das Marktumfeld etwa spielt eine wichtige Rolle und bestimmt mit, welche Innovationsmethode zu welchem Zeitpunkt die beste ist.

Das eine Ende des Spektrums markieren visionäre Projekte: Vorhaben, die ohne greifbare Erfolgsaussichten begonnen werden. Wegen des erheblichen Risikos sind solche Innovationen vor allem für Start-ups interessant. Bei ihnen kalkuliert man ein, dass die meisten Versuche keinen Gewinn bringen.

Den Gegenpol bildet schrittweise Innovation: die stetige Verfeinerung von Produkten. Diese Herangehensweise bewährt sich besonders bei Konzernen mit komplexen Produkten, man denke an das iPhone. Das erste iPhone zählt zur Kategorie der marktprägenden Innovation. Es war zwar nicht das erste Smartphone, setzte aber völlig neue Standards. Wie visionäre Projekte bergen auch marktprägende Innovationen hohe Risiken – und eignen sich nicht für jeden.

Die Harvard­-Professorin Regina Herzlinger und ihr Team identifizieren zwei weitere Innovationstypen zwischen den beiden genannten Polen: die erweiterte und die synergetische Innovation. Erweiterte Innovationen "verbessern bestehende Produkte deutlich", ohne sie komplett zu ersetzen.

Synergetische Innovationen dagegen sind Neuschöpfungen, die "ihren Mehrwert aus der Verwandtschaft zu existierenden Produkten ziehen".

Diese beiden Innovationsformen stehen zwar selten im Rampen­licht, können sich aber als echte Wachstumsmotoren entpuppen. Innovation kennt eben viele Wege zum Ziel. Und für die richtige Strategie braucht es – wenig überraschend – selbst eine Portion Innovationsgeist.

"Unternehmen konzentrierten sich früher auf interne Experten. Heute geht es um vernetzte Ökosysteme."

Melissa Valentine

Professorin
Stanford University

3. Flash Teams: Inspiration von außen

IT und KI treiben Innovation voran – schneller, günstiger, effizienter. Aber wie gelingt das in der Praxis?

Beginn des 21. Jahrhunderts beschritten mehrere große Unternehmen neue Wege und suchten nach Möglichkeiten, Innovationen gemeinsam mit externen Partnern voranzutreiben. Procter & Gamble startete sein "Connect+Develop" Programm, um externe Ideen gezielt in die hauseigene Forschung und Entwicklung einzubinden. IBM förderte mit "Innovation Jams" neue Ansätze zur kollaborativen Problemlösung mit Kunden. Auch InnoCentive – ein Unternehmen für offene Innovation und Crowdsourcing – erkannte früh das Potenzial dieser kooperativen Herangehensweise. Ähnlich dem Open-Source-Prinzip in der Softwareentwicklung werden Herausforderungen öffentlich gemacht, sodass externe Experten weltweit kreative Lösungen beisteuern können. Um technische und wissenschaftliche Innovationen gezielt zu beschleunigen, schuf InnoCentive ein globales Netzwerk.

All diese Beispiele zeigen eine offene Haltung gegenüber Ideen von außen. Vor rund einem Jahrzehnt begann Melissa Valentine, Professorin für Managementwissenschaften an der Stanford University, ein ähnliches Phänomen zu untersuchen – die sogenannten "Flash Teams": Unternehmen setzen die boomende "Gig Economy" schon länger ein, um Routinearbeiten auszulagern. Doch Valentine beobachtete, dass manche Firmen inzwischen auch kreative und experimentelle Aufgaben an externe Fachkräfte vergeben, etwa für die schnelle Entwicklung eines Produkts vom Konzept bis zur Marktreife. Ihre Forschungen zeigen, dass Flash Teams neue Organisationsformen mit fließenden Grenzen ermöglichen. Diese flexiblen Strukturen bestehen aus kleinen, bedarfsabhängigen Teams, die parallel arbeiten und sich nach Abschluss ihrer Aufgabe wieder auflösen.

10 Bio. USD: Laut Prognosen wird generative KI bis 2033 diesen Beitrag zum globalen BIP leisten.

Quelle: IDC/Microsoft

Unternehmen taten sich lange Zeit schwer mit flexiblen Strukturen und der Öffnung nach außen. Sie wollten ihr geistiges Eigentum schützen und behielten Innovationen lieber für sich. Doch zunehmend zeigt sich, dass mehr Offenheit neue Möglichkeiten schafft: Flash Teams haben sich professionalisiert, und Kooperationen mit Start-ups, Universitäten und externen Forschungslaboren nehmen zu. "Unternehmen konzentrierten sich früher auf ihre internen Experten", sagt Valentine. "Heute geht es um vernetzte Ökosysteme."

Externe Impulse in den Innovationsprozess einzubinden, ist kein neues Konzept. Doch es wird entscheidend, um auch in unsicheren Zeiten innovativ zu bleiben. Unternehmen, die früher strikt auf internes Know-how setzten, verdanken ihre größten Innovationssprünge oft einem Perspektivwechsel. Ein Beispiel: Microsoft hielt lange an einem abgeschotteten Innovationsmodell fest und mied Partnerschaften. Doch 2022 wagte der amerikanische Tech-Riese einen mutigen Schritt in die Welt der generativen KI – nicht mit einem eigenen Projekt, sondern durch eine milliardenschwere Beteiligung an OpenAI. Die Wette kostete Microsoft zwar stattliche 13 Milliarden US-Dollar, sicherte dem Konzern aber den Zugang zur weltweit führenden KI-Technologie.

Externe Technologien erfordern nicht nur Kapital, sondern auch einen Perspektivwechsel: Selbst die größten Tech-Giganten verfügen nicht über das gesamte Fachwissen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. "Kein Unternehmen will bei generativer KI ins Hintertreffen geraten", sagt Valentine. "Doch die meisten haben nicht genügend eigene KI-Experten." Auch bei 3M hat sich der Fokus von internen auf externe Innovationsquellen verlagert: "Die Innovationen, die heute nötig sind, erfordern Partnerschaften und eine tiefere Zusammenarbeit als je zuvor", sagt Jayshree Seth, Chief Science Advocate von 3M und Inhaberin von 80 Patenten. "Kein Unternehmen kann das allein stemmen."

Doch ist dieser kollaborative Ansatz wirklich der Schlüssel? Und welchen Stellenwert hat klassische Forschung und Entwicklung heute noch?

4. Der Mensch bleibt im Mittelpunkt

Innovation ist Technik und Methode. In Zeiten knapper Mittel wird Kreativität zum größten Erfolgsfaktor.

Der wirtschaftliche Druck setzt viele F&E-Budgets unter Stress. Kürzungen und Neuausrichtungen zwingen Unternehmen dazu, mit weniger Mitteln mehr zu erreichen. Doch strikte Vorgaben erschweren es Mitarbeitenden, Zeit in zukunftsweisende Innovationsprojekte zu investieren. Eine aktuelle Analyse von Moody's zeigt, dass die weltweiten F&E-Ausgaben 2023 langsamer wuchsen als im Vorjahr. Die Botschaft ist klar: Sparprogramme der Post-Pandemie-Ära, einschließlich Stellenabbau und verhaltener Neueinstellungen, bremsen das Innovationstempo.

Zugleich stehen börsennotierte Unternehmen mit Finanzreserven vor einer Herausforderung: Sie müssen ihre Aktionäre oft mühsam von der Notwendigkeit hoher F&E-Investitionen überzeugen, obwohl an sich jedem klar sein sollte, dass diese mehr Innovationen ermöglichen. Ein Board-Mitglied eines britischen Industriekonzerns erklärte kürzlich, etwas Intransparenz sei nötig, sonst sähen Aktionäre, wie viel Geld tatsächlich in Forschung und Entwicklung fließt.

19 % der Erlöse: So viel investierte die Pharmaindustrie 2023 in F&E und lag damit vor den Branchen IT und Telekommunikation, die jeweils rund 14 % aufwendeten.

Quelle: Moody's

Neben Zeit, Ressourcen und Budget gibt es weitere Hürden für Innovationen: schrumpfende natürliche Ressourcen, anhaltende Probleme in den Lieferketten und mehr Handelskonflikte. Diese Herausforderungen erfordern neue Denkansätze. Ein Beispiel ist die frugale Innovation, die in Schwellenländern seit Jahrzehnten praktiziert wird – mit dem Ziel, kostengünstige, ressourcenschonende Lösungen zu entwickeln, die oft überraschend wirkungsvoll sind.

Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt, bewährte Konzepte weiterzuentwickeln und neue Wege zu beschreiten. Denn Innovationen entstehen nicht von allein. Sie brauchen frische Ideen, den gezielten Einsatz neuer Technologien und eine klare Methodik. Trotz aller technologischen Fortschritte bleibt der Mensch der zentrale Treiber von Innovationen. Nicht die bloße Verfügbarkeit neuer digitaler Werkzeuge entscheidet über den Erfolg, sondern die Art und Weise, wie sie genutzt werden.

Heute und in den kommenden Jahren wird es sehr darauf ankommen, digitale Werkzeuge nicht nur effizient einzusetzen, sondern sie in eine Kultur der Offenheit und des Wandels zu integrieren. Nur so lassen sich Innovationspotenziale gezielt ausschöpfen und nachhaltige Fortschritte erzielen.

Gut zu wissen:
Mehr Wachstum fördert KI:

Der erhoffte Boom der generativen KI wird durch ein schwaches Wirtschaftswachstum gebremst. Doch das kann sich ändern.

Offene Ökosysteme:

Setzen Sie auf externe Experten, die Innovation voran­treiben. Ziel ist ein Ideenpool, der in seiner Gesamtheit stärker ist.

Neue Methoden:

Sparsamkeit be­deutet nicht das Ende des Fortschritts. Sie kann sogar neue, effektivere Lösungen hervorbringen.

Über die Autorin
Portrait of Michal Lev-Ram
Michal Lev-Ram
Michal Lev-Ram ist eine im Silicon Valley ansässige Journalistin und Chefredakteurin für Technologie und Unterhaltung bei Fortune, wo sie auch als Redaktionsleiterin von Fortune Live Media tätig ist.
ÜBER DEN AUTOR
Portrait of Stefan Stern
Stefan Stern
Stefan Stern ist Journalist und Autor. Er schrieb von 2006 bis 2010 als Management-Kolumnist für die Financial Times. Sein aktuelles Buch Fair or Foul: The Lady Macbeth Guide to Ambition erschien 2024, nach Myths of Management und How to be a Better Leader.
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Veröffentlicht Mai 2025. Vorhanden in
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München Office, Zentraleuropa